Jesaja 40,26-31 Quasimodogeniti
Hebet eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber«? Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unerforschlich. Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Die Stimmung ist auf dem Nullpunkt bei den Juden in Babylon. Jahrzehnte dauert es nun schon, dass sie im Exil hier in der Fremde ihr Dasein fristen müssen, getrennt von Jerusalem, vom Tempel, und vor allem getrennt von ihren Familien. Nichts hat sich seither getan, nichts verbessert. Eine trostlose Situation! Und so mancher denkt: Die Herren von Babylon werden wohl Recht behalten, wenn sie behaupten: „Unser Gott Marduk, der Sonnen- und Sternengott Babylons, ist stärker als euer Gott. Gebt es doch auf mit dem Gott Israels!“
Immer drängender wird für sie die Frage: Wo bleibt unsere Rettung? Wo unsere Hoffnung? Gott kümmert sich nicht um uns, er hat uns offensichtlich vergessen. Niemand steht uns hier bei. Wenn es Ärger gibt mit den Oberen von Babylon, dann brauchen wir gar nicht erst zu versuchen, uns zu wehren. Gott greift ja doch nicht ein, um uns Recht zu schaffen.
Wie reagiert der Prophet Jesaja auf diese deprimierten Vorwürfe? Er zeigt ihnen den Nachthimmel mit seinem Sternenglanz. Zeigt ihnen den Himmel, den Ort, an dem die Astrologen von Babylon die Gestirne, die sie für Götter halten, beobachten und mit der Deutung ihrer Beobachtungen das menschliche Schicksal voraussagen zu können meinen. „Schaut hinauf zum Himmel! Wer hat das alles geschaffen? Weißt du es nicht, Israel? Dein Gott war es. Seine Schöpfung ist das alles, er allein hat die Macht darüber – und nicht Marduk und niemand sonst. Erinnere dich: Wie war es denn damals bei Abraham? Auch ihm hatte Gott den Sternenhimmel gezeigt und ihm versprochen: Einmal werden deine Nachkommen so zahlreich sein wie die Sterne am Himmel. Das ging ja auch nicht von jetzt auf nachher! Warum, Israel, zweifelst du am langen Atem Gottes? Er hat dich nicht vergessen, du bist ihm nicht egal.“
Und noch etwas sagt der Prophet: „Schaut nicht auf die Macht der Menschen. Richtet euch nicht nach denen, die jetzt so stark erscheinen. Denn auch sie sind nur Menschen; auch sie werden einmal müde und verzagt sein wie ihr jetzt. Worauf es ankommt, ist etwas ganz anderes: „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ Darum geht es! Auf den Herrn harren, geduldig und voller Hoffnung, voller Sehnsucht und voller Vertrauen darauf, dass er sich zuletzt als der Zuverlässige, der Mächtige erweist.
Nur bitte, werden wir nicht misstrauisch, wenn jemand uns verheißt, dass wir laufen können und nicht matt werden? Ist das mit dem langen Atem Gottes letztlich nicht doch nur die Vertröstung auf eine ungewisse Zukunft? Und im Bezug auf die Erfüllung der Verheißungen des Propheten Jesaja könnten wir wohl mit Recht fragen: War das wirklich eine Hilfe Gottes, dass Israel zurückkehrte zu den Trümmern Jerusalems, um dann Jahrhunderte lang unterdrückt von Großmächten zu leben bis zum endgültigen Aus des Staates Israel im Jahre 70 n. Chr.?
Man kann in der Tat all das in Frage stellen, was der Prophet hier sagt. Dazu brauchen wir nicht einmal so deprimiert und am Boden zu sein wie die Israeliten damals; es reicht bei uns schon der Stachel des Zweifels.
In den Worten Jesajas finden wir einen sehr wichtigen Hinweis auf das, was uns aus der Macht dieses Zweifels befreien kann: Weißt du nicht? Hast du nicht gehört?
Befreiend wirkt für uns die Erinnerung an das, was Gott bereits getan hat. Der Prophet erinnert an Abraham und verweist auf das, was Gott an ihm hat Wirklichkeit werden lassen. Für uns gehört zu solchem Erinnern jetzt in der Osterzeit auch die Erinnerung an das Kreuz Jesu und an seine Auferweckung. „Bist du Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuz!“, hatten die Leute gespottet. Da war nichts vom Auffliegen wie ein Adler, da war nur noch Müdigkeit und Mattheit, da waren nicht mehr Vitalität und Spannkraft, sondern nur noch Schmerzen und Tod. Aber dann eben doch:
Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft.
Gott hat einen längeren Atem, als der Tod uns glauben machen will. Durch die Auferstehung Jesu erweist sich die Zuverlässigkeit Gottes; da ist dieses Prophetenwort noch einmal in ganz besonderer Weise, nämlich end-gültig, am Ende gültig wahr geworden.
Zugleich erfüllt es sich für uns mit neuem Sinn. Beim Propheten Jesaja ging es um Wege aus der Depression. Dazu gehörte auch die Erkenntnis, dass Gottes Verstand unausforschlich ist und wir nicht einfach das, was wir für richtig halten und für uns wollen, zum Maßstab für das Handeln Gottes machen. Gerade in der Auferweckung Jesu zeigt es sich, dass die Hilfe Gottes unsern Erfahrungshorizont immer wieder weit übersteigt. Denn sie greift über die Grenze des Todes hinaus.
Das bedeutet nun keineswegs, dass Gott uns in diesem Leben hängen lässt und aller Trost in das Leben nach dem Tod gehört. Vielmehr ist der Sieg über den Tod der sichere Grund für unser Leben. Das gilt, wenn wir beschwingt sind und voller Elan genauso wie in Momenten der Not und der Verlassenheit, wenn uns die Hoffnung abhanden gekommen ist und bei uns nur noch Mattheit und Müdigkeit herrscht.
Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Der das alles geschaffen hat, der hat auch die Macht und die Kraft, meine Zweifel zu überwinden. Wir werden erinnert an die großen Taten Gottes in der Geschichte des Glaubens und in den Texten der Bibel, und in solchem Erinnern wächst unser Glaube. Es ist der Glaube, der auf den Herrn harrt; da bekommen wir Grund unter die Füße, da wachsen uns Flügel, da können wir wieder laufen und werden nicht müde.
Dabei werden uns jedoch das Leid und die Depression nicht verschwiegen. Denn das Leiden Christi und die Depression der Jünger gehören zu unserer Glaubensgeschichte dazu. In dieser österlichen Zeit feiern wir, dass Gott zu seinem Wort steht, dass deshalb bei uns nicht Leid und Tod das letzte Wort haben, sondern das Leben.
Wenn Menschen ihr Leben nur auf Menschen gründen, dann wird es notwendigerweise immer wieder zu Enttäuschungen kommen. Denn Helden ermüden, Patentrezepte vergehen, Krisen stellen sich ein und machen uns das Leben schwer. Die Finanzen, auf die wir gestern noch gebaut haben, sind morgen schon in einer Bankenpleite abgeschrieben. Die eigene Gesundheit, auf die du dich immer verlassen konntest, steht plötzlich und unerwartet in Frage oder ist gar schon verloren. Die Hoffnung auf Gott jedoch lässt uns nicht in der Depression, sondern verleiht uns neuen Lebensmut. Da werden bei uns ungeahnte Kräfte frei, da entsteht mitten in Not und Elend ein Stück Himmel. Gott sei´s gedankt!