Vieles von dem, was wir im sonntäglichen Gottesdienst erleben, ist uns mittlerweile zur Gewohnheit geworden. Und das ist auch gut so. Denn gerade dieses Gewohnte hilft uns dabei, uns immer neu im Gottesdienst zurechtzufinden, uns in ihm wohl, ja noch besser, uns in ihm zu Hause zu fühlen.
Nur, diese Feststellung stößt nicht bei allen Gottesdienstbesuchenden auf Zustimmung. „Immer dasselbe“, klagen zum Beispiel die KonfirmandInnen und schalten deshalb vielfach gleich zu Beginn des Gottesdienstes erst einmal vorsichtshalber ab. Und nicht nur sie! Mit dem Ergebnis, dass dann der Gottesdienst notwendigerweise automatisch langweilig und öde werden muss. Und das wird er auch bleiben, es sei denn, man/frau lässt auf ihn ein, versucht, ihn mitzuerleben in seiner Vielfalt von Hören, Besinnung, Singen, Beten, Stille, Zur-Ruhe-Kommen, Ermutigung, Mahnung, Freude.
Denn nur so lässt sich erfahren, daß „immer dasselbe“ eben nicht immer das Gleiche ist, sondern dass das, was sich da ereignet, je nach jeweiliger Gefühlslage, Lebenssituation, momentaner Erfahrung plötzlich eine ganz andere, neue Bedeutung für uns bekommen kann. Denn nicht alles, was im Gottesdienst geschieht, ist jedes Mal für uns gleich-wichtig. Einmal suchen wir die mehr Stille, ein andermal mehr Ermutigung oder Gemeinschaft oder Trost oder Orientierung.
Andererseits weist diese Kritik „Immer dasselbe!“ auf eine große Gefahr hin: Dass wir gerade, weil wir manches im Gottesdienst zu sehr gewohnt sind, dies gar nicht mehr so richtig wahrnehmen in seiner Bedeutung für uns, dass wir es einfach nur so über uns ergehen lassen.
Der heutige Predigttext erinnert uns an solch einen Bestandteil unseres Gottesdienstes, dessen Bedeutung und Wert gerade durch besagte Gewohnheit leicht verloren zu gehen droht:
Und Gott redete mit Mose und sprach: „Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Jahwe / Gott segne dich und behüte dich; Jahwe / Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; Jahwe / Gott hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“
Wie sieht es denn aus bei uns mit dem Segen am Ende eines jeden Gottesdienstes? Nehmen wir ihn noch als etwas Besonderes wahr? Oder ist er nur noch das ersehnte Schlusssignal „Endlich vorbei!“?
Dieser Segen ist recht verstanden etwas ganz Wunderbares.
Da fällt zunächst einmal auf, dass viele Pfarrleute beim Segen die Hände aufheben. Weshalb diese Geste?
Sie soll uns daran erinnern, dass der Segen Gottes jedem/r, die ihn empfangen, ganz persönlich zugeeignet wird, ursprünglich im direkten Kontakt durch Handauflegung, so wie das ja auch noch immer bei uns üblich ist bei der Taufe, bei der Konfirmation, bei der Trauung oder bei der Einführung von kirchlichen Mitarbeitenden. Im Segen wendet sich Gott jedem/r einzelnen ganz persönlich zu.
Und das bedeut für den Schlusssegen: „Das, was da gesagt wird, gilt Dir ganz persönlich“. Dies symbolisieren die zum Segen aufgehobenen Hände des Pfarrers/der Pfarrerin, zu denen dann das gesprochene Wort, das ganz persönliche „Du“ hinzutritt: „Gott segne Dich!“
Und dies gilt ausnahmslos allen, über denen der Segen gesprochen wird, denen, die unter ihrer Anonymität oder Einsamkeit leiden genauso wie denen, die sich in der Gemeinschaft eingebunden und geborgen fühlen.
„Gott segne Dich!“
Und damit wird auf diese Einzelnen, wie es der Text so schön sagt, „der Name Gottes gelegt“. Der Segen ist so zugleich Zeichen, Zeichen dafür, dass die Gesegneten unter Gottes Namen stehen, dieses Namens, den Gott dem Mose geoffenbart hat: „Ich bin Jahwe.“ Und das bedeutet übersetzt: „Ich werde sein – ich werde für dich da sein.“ Dieser Name, dieses Versprechen Gottes wird im Segen auf uns gelegt, uns ganz persönlich zugeeignet.
„Gott segne Dich und behüte Dich!“
Im Segen wird uns Gottes Nähe zugesagt, seine Fürsorge, seine Begleitung. Im Segen verspricht er uns, auf uns zu achten, wenn es um unser Leben geht. Nie werden wir ganz schutzlos, nie werden wir ganz allein sein, weil sein Segen auf uns liegt, und weil er, der allmächtige Gott, sich an seinen Segen bindet.
„Darauf kannst Du Dich verlassen: Ich, Dein Gott, bin für Dich da; auch dann, wenn ich Deinen Erwartungen nicht entspreche, weil ich Dir gebe, was Du brauchst, und nicht, was du willst.“
„Gott lasse sein Angesicht leuchten über Dir und sei Dir gnädig!“
Gott blickt uns an. Er schaut nicht von uns weg, trotz all unserer Irrungen und Wirrungen; er schaut auch nicht auf uns herab, so wie wir leicht auf unsere Mitmenschen herabschauen.
Gott schenkt uns die Wärme seines Blickes, uns annehmend, uns neue Würde schenkend, liebevoll, damit es auch in all unserer menschlichen Dunkelheit um uns herum hell werde.
Und er kann sich zu uns so verhalten, weil er gnädig ist, weil er uns, ohne daß wir es verdient hätten, annimmt, ja, weil er mit uns an unserer ganzen Begrenztheit und Ohnmacht mitleidet. Keine menschliche Tiefe ist ihm zu tief, als daß er uns dort nicht mit seinen bergenden Händen auffinge und Halt gäbe. Das hat er uns mit Jesu Tod am Kreuz zur Gewissheit hat werden lassen: „So viel bist du mir wert! Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig!“
„Gott hebe sein Angesicht über Dich und gebe Dir Frieden!“
Nochmals wird uns die Fürsorge Gottes zugesichert: Er behält Dich im Auge! Er hat Dich im Blick! Du bleibst Bestandteil seiner Aufmerksamkeit, ob Du das nun selbst so verspürst oder nicht! „Und gebe Dir Frieden!“
Friede zwischen Dir und ihm – Aussöhnung – Vergebung. Gott schafft sich Friede mit uns, weil wir von uns aus dazu nicht fähig sind! Bei ihm und durch ihn finden wir Frieden.
Welch eine Fülle von Zusagen, Ermutigungen, Liebeserweisen in diesen wenigen Segensworten!
In ihnen begegnet uns das ganze Evangelium, Gottes gute Nachricht für uns, gebündelt, verdichtet, in konzentrierter Form, – uns zugesprochen. Und so bedeutet der Segen zum Schluss des Gottesdienstes: „Dies alles gilt Dir ganz persönlich. Unter dieser Zusage, unter dieser Verheißung darfst Du getrost und zuversichtlich in die neue Woche hineingehen, befreit dazu, nun auch in ganz neuer Weise auf Deine Mitmenschen zuzugehen und sie liebevoll anzunehmen.
Denn, was er schon damals zu Abraham über den Segen gesagt hat, das gilt genauso auch für uns heute:
„Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein!“
Zum Zuspruch Gottes gehört auch sein Anspruch: Du sollst ein Segen sein!
Da wird die Segnung zur Sendung:
„Sieh zu, wie Du nun Deinerseits Deinen Mitmenschen zum Segen werden kannst.“
Was das dann je und je bedeuten mag, bedarf keiner Konkretisierung mehr. Denn wenn uns erst einmal der liebevolle Blick für unsere Mitmenschen geöffnet ist, dann werden wir schon merken und erspüren, wo und wie wir für sie segensreich wirken können.
So endet mit dem Segen unser sonntäglicher Gottesdienst, der unter dem Vorzeichen des Votums „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ begonnen hat. Und mit diesem Segen als Vorzeichen beginnt dann unser Gottesdienst im Alltag , das Leben in Gottes behütender Begleitung und zugleich das Leben, dem Gottes Kraft und Verheißung innewohnt, segensreich für andere da sein zu können.
Dafür gebe uns Gott seinen Segen!