Adinkra = Zeichen aus einer in Ghana vorkommenden Symbolsprache
Predigt zum African-Festival-Gottesdienst 2011
„Bei dir ist die Quelle des Lebens.“ Psalm 36,10a
Liebe Schwestern und Brüder!
Wir alle brauchen und wir alle haben auch hoffentlich unsere „Quelle des Lebens“, im eigentlichen wie auch im übertragenen Sinne.
In Afrika, aber leider eben nicht nur dort, ist dies ein sehr konkretes Thema, um nicht zu sagen, Problem: Wie viele Menschen sterben gerade auch momentan wieder dort in erschreckender Anzahl, weil ihre Quellen versiegt und ihre Zisternen und Wasserlöcher längst ausgetrocknet sind; weil durch Jahren der Dürre ihr Vieh verdurstet ist und ihre Felder nichts Essbares mehr hervorgebracht haben; aber auch, weil vielen Machthabern dort die Erhaltung ihrer meist korrupten Macht wichtiger ist als die Sorge für das Leben ihrer Bevölkerung. Dass wir in diesen Tagen wieder besonders dazu aufgefordert werden, für die Menschen in Afrika, die momentan unter einer unglaublichen Hungersnot zu leiden haben, zu spenden, ist aus humanen Gründen richtig und wichtig. Aber dass von der Weltöffentlichkeit und unseren demokratischen Regierungen gegen die dort herrschenden Cliquen zumindest für mich nicht erkennbar etwas unternommen wird, halte ich schon für skandalös.
„Bei dir ist die Quelle des Lebens.“
Wir alle, hatte ich gesagt, brauchen und wir alle haben auch hoffentlich unsere Quelle des Lebens, im eigentlichen wie auch im übertragenen Sinne.
Ihr alle mögt vielleicht ganz unterschiedliche Quellen des Lebens haben. Und das darf auch so sein. Es ist nur wichtig, dass Ihr sie tatsächlich auch kennt und habt, also nicht nur so irgendwie oberflächlich, sondern von Herzen; und dass diese Quellen tatsächlich, also auch kritisch betrachtet, zum Leben führen und euer Leben erfüllen.
„Bei dir ist die Quelle des Lebens.“
Für den Beter des 36. Psalms ist die Quelle des Lebens letztlich Gott selbst, also der, dem wir Menschen nach der Botschaft der Bibel unser Leben verdanken und der es uns, ebenfalls nach der Botschaft der Bibel, erhält – selbst durch den Tod hindurch.
„Bei dir ist die Quelle des Lebens.“
Jesus hat dann einige Jahrhunderte später konkretisiert, wie Gott für uns Quelle des Lebens ist: Als der uns liebende Gott, dessen Liebe zu uns größer ist als alles, selbst als alles, was gegen uns sprechen möge. Dass nichts und niemand uns von dieser Liebe Gottes zu trennen vermag, nicht einmal der Tod. Dass wir uns vor Gott nicht fürchten müssen, sondern dass wir ihn unsererseits lieb haben können, so wie wir jemandem lieb haben, dem wir tief vertrauen. Zugleich aber hat Jesus auch deutlich gemacht, dass Gott lieb zu haben zugleich bedeutet, auch die lieb zu haben, die Gott lieb hat, also unsere Nächsten und, was uns manchmal gar nicht so leicht fällt, und auch uns selbst. Also dass wir so selbst zu „Lebensquellen“ für andere werden können; zu Menschen, die anderen Menschen gut tun, indem sie ihnen auf ganz unterschiedliche Art und Weise zum Leben helfen.
So verstehe ich letztlich auch die Botschaft des Adinkras, jenes Zeichens aus einer in Ghana vorkommenden Symbolsprache, das wir für diesen Gottesdienst heute ausgesucht haben. Es sieht aus wie ein Stern, trägt die Bezeichnung NSOROMMA und verfügt über einen erstaunlich großen Bekanntheitsgrad, zumindest was die Eintragungen zu diesem Begriff bei Google anbelangt, immerhin mehr als 121.000.
NSOROMMA – zwei Erklärungen habe ich gefunden für dieses Wort: „Kind des Himmels“ und „Hüterschaft“.
„Kind des Himmels“ – in dieser Erklärung findet sich wieder der Gedanke, dass wir Gottes geliebte Geschöpfe sind und bleiben, egal was auch immer geschehen mag mit uns. Dass jeder und jede von uns etwas Besonderes ist und von Gott her einen besonderen Wert besitzt, den wir uns nicht verdienen oder sonst irgendwie erwerben müssen, den er uns schenkt als sein von ihm geliebtes Gegenüber. Und weil dieser Wert von Gott her jedem Menschen gilt, hat auch jeder Mensch ein Anrecht darauf, dass wir ihn allein schon deshalb oder vielleicht auch gerade deshalb als Mensch wert schätzen, egal, was er sonst auch immer für ein Typ sein mag.
Und das passt dann schon zu jener zweiten Erklärung, „Hüterschaft“ oder besser in geschlechtergerechter Sprache „Hüteschaft“, Auch wenn manche Interpreten der Meinung sind, diese beziehe sich nur auf die Hüteschaft Gottes, also darauf, dass er uns behütet und beschütz, so bin ich doch der Meinung, dass es hier auch um unsere Hüteschaft geht. In welchem Sinne?
Wir kennen ja die Frage Kains, als Gott ihn nach dem Verbleib seines kurz zuvor von ihm ermordeten Bruders Abel fragt: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?!“
Weil Gott Quelle des Lebens für mich ist, kann ich auch zur Quelle des Lebens für andere werden, indem ich ihr Leben, indem ich sie behüte; indem ich achtsam mit ihrem Leben und ihren Lebensumständen umgehe; indem ich mich kümmere um das, was sie bekümmert; indem ich Anteil nehme an ihrem Leben – und das alles nicht für mich, um dadurch für mich einen Vorteil zu haben, indem ich so besser vor anderen da stehe oder deren Anerkennung bekomme, sondern allein um der Behüteten willen.
Wie schnell das kippen kann, zeigt ein Beispiel aus Afrika:
Da wurde mit Spendengeldern ein Brunnen für die Allgemeinheit gebohrt und eine Familie dafür bezahlt, den Brunnen zu behüten, also dafür zu sorgen, dass er nicht verunreinigt und entsprechend gewartet wird, damit er auf Dauer in brauchbarer Weise der Allgemeinheit zur Verfügung steht. Nach nicht zu langer Zeit musste jedoch festgestellt werden, dass die Familie ihre Hüteschaft dahingehend missbrauchte, dass sie von denjenigen, die kamen, um Wasser zu holen, dafür Geld verlangte und sich an ihnen bereicherte, so, als ob dieser Brunnen ihr Eigentum wäre.
Hüteschaft ist nie Macht, sondern bestenfalls Vollmacht, Vollmacht zum Dienst am Nächsten.
„Bei dir ist die Quelle des Lebens.“
Wer so von und mit Gott sprechen kann, ist ein „Kind des Himmels“, befähigt zu guter „Hüteschaft“, also ein Mensch, dem die Verheißung gilt, selbst zur „Quelle des Lebens“ für andere zu werden.
Alle Fotos von Gabriele Metzger