16. Sonntag nach Trinitatis
Die Geschwister Lazarus, Martha und Maria gehörten zum engeren Freundeskreis Jesu, und wir hören immer wieder, dass er sich bei ihnen in Betanien aufgehalten hat.
Diesmal ist der Anlass seines Besuches ein trauriger:
Lazarus war drei Tagen zuvor gestorben; das Haus war voller Trauergäste, die gekommen waren, um den Schwestern Trost zu spenden.
Irgendwie erfährt Martha, dass Jesus sich bereits in der Nähe befindet. Und sie tut etwas für die damalige Zeit Unübliches: Sie wartet nicht zuhause bei den übrigen Gästen auf Jesu Ankunft, sondern sie geht ihm entgegen.
„Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.“
Worte, die ihren ganzen Schmerz zum Ausdruck bringen, aber auch ihr großes Vertrauen zu Jesus:
„Wärst du hier gewesen, ………!“
Der hilflose Versuch, Geschehenes noch einmal ungeschehen machen zu können; so, als ob das alles nur ein böser Traum wäre, aus dem es nur wieder aufzuwachen gilt.
Wir alle kennen derartige gedankliche Fluchtversuche vor der Wirklichkeit nur zu gut!
Gleichwohl: Einmal Geschehenes lässt sich nicht mehr ungeschehen machen, zumal dann nicht, wenn es sich um den Tod handelt.
„Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Was du bitten wirst von Gott, das wird dir Gott geben.“
Sie hat wie gesagt ein unendlich großes Vertrauen in Jesus. Nur, was erwartet sie eigentlich konkret von ihm?
Worum soll Jesus Gott bitten?
Am naheliegendsten wäre für uns doch wohl die Bitte darum, dass Gott das Geschehene wieder rückgängig machen, dass Jesus Lazarus wieder lebendig machen soll.
Wie wird Jesus darauf reagieren?
Seine Antwort mag für uns ein wenig überraschend klingen: „Dein Bruder wird auferstehen!“
Sein Tod bleibt Realität. Aber Jesus richtet Marthas ganz auf den Tod fixierten Blick in die Zukunft.
Es ist noch nicht alles zu Ende!
„Dein Bruder wird auferstehen!“
Und Martha entgegnet ihm:
„Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage.“
Das war nichts Neues für sie. Diese Auferstehungslehre kannte sie von Kindheit an. Nur, was sollte mit Lazarus geschehen bis zum Zeitpunkt seiner Auferstehung?!
Dazu müssen wir wissen: Tod, tot sein bedeutet für die Menschen in der Zeit des Alten Testamentes entweder: Totale Isolation, der Tote kann weder mit Menschen noch mit Gott noch mit anderen Toten Kontakt aufnehmen und dies, so die Vorstellung weiter, würde sich erst wieder ändern nach der sogenannten Auferstehung von den Toten. Oder man meinte, dass mit dem Tod der ganze Mensch mit Leib und Seele aufhört zu existieren, bis Gott ihn wieder in seiner ursprünglichen Gestalt auferstehen lässt.
Eine wenig tröstliche Vorstellung für sie.
Und da gibt ihr Jesus eine Antwort, die alles bisher zum Tod Gesagte über den Haufen wirft:
„Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer meinem Wort vertraut, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und mir vertraut, der wird nimmermehr sterben.“
Unglaublich!
Martha will Leben für ihren toten Bruder, Leben in und nach dem Tod, und Jesus sagt ihr ganz einfach:
„Wer meinem Wort vertraut, der hat Leben, egal, ob vor oder in oder nach seinem Tod.“
Wie sollen wir das verstehen?
Wer Jesus und seiner Botschaft vertraut und durch sie Gott selbst, dem eröffnet er eine ganz neue Sicht für das, was wir Leben nennen:
Leben, so macht er deutlich, ist nicht nur die Lebensspanne, die mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet, sondern: Der Tod ist, auch wenn wir ihm und dem, was zu ihm gehört, nicht aus dem Wege gehen können, und auch wenn er für die Hinterbliebenen einen furchtbaren Einschnitt bedeutet, nicht das Ende eines Lebens, sondern nur eine Episode in diesem Leben, das größer ist als der Tod und das immer schon Gottes Verheißung des Ewigen in sich birgt.
Erst damit, so Jesus, erkennen wir das richtige Leben, in dem der Mensch sich getragen, begleitet und zum Leben ermutigt weiß durch Gott, dem wir dieses Leben verdanken und der es uns täglich erhält, selbst durch den Tod hindurch.
Was ändert sich denn bei uns durch diese Sichtweise?
Zum einen, dass wir lernen, den Tod anders zu sehen: Nicht mehr als Ende, sondern vielmehr als Wende in unserem Leben, als eine Grenze, die zu überschreiten Gott uns befähigt; dass wir den Tod nicht voller Furcht aus unserem Leben verdrängen müssen, so wie dies in unserer Gesellschaft vielfach geschieht; dass wir uns bewusst machen, dass dem Tod seine Macht über uns genommen ist, weil er uns vieles, aber eben nicht das Leben nehmen kann. Welch ein Trost, wenn wir an unsere Verstorbenen denken! Sie sind unserer unmittelbaren Gegenwart durch den Tod entnommen, und das schmerzt und tut weh. Aber sie leben – in der Ewigkeit, die Gott schenkt.
Zum anderen, dass wir lernen, unser Leben anders zu sehen; dass uns plötzlich ganz andere Werte wichtig werden als die, die uns unsere produkt- und leistungsorientierte Gesellschaft vorgibt, Werte wie Liebe, Treue, Barmherzigkeit, Friedfertigkeit, Vertrauen, Geduld; dass wir Mut dazu bekommen, bei der Verwirklichung dieser neuen, in der Verkündigung Jesu verankerten Werte nötigenfalls auch gegen den Strom zu schwimmen; dass wir gütiger werden in dem, wie wir unsere Mitmenschen und auch uns selbst wahrnehmen, weil wir unser Menschsein mit seinen Grenzen und Fehlern akzeptieren.
Und wie kommt ein Mensch zu solch einem Glauben?
Jesus sagt zu Martha: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer meinem Wort vertraut, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und meiner Botschaft vertraut, der wird nimmermehr sterben.“
Und dann setzt er fort: „Glaubst du das?“ Wohlgemerkt, Jesus fragt sie nicht: „Verstehst du das?“ Weil das, worum es ihm geht, ihre und unsere Vorstellungskraft weit übersteigt.
Martha hat das für sich Entscheidende zum Thema Leben und Tod gehört, den größten Trost, den Jesus ihr zu geben vermochte, und jetzt geht es darum, ob sie an ihn und an das, was er ihr und damit auch ihrem Bruder verheißen hat, glaubt, ob sie ihm vertraut.
Ihre Antwort: „Ja, Herr, ich glaube, ich vertraue darauf, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.“
Das Besondere an dieser Antwort: Martha spricht nicht Jesus einfach nach: „Ja, ich glaube dir“, sondern sie bekennt sich zu ihm als dem von Gott verheißenen und auf diese Welt Gesandten, dem Messias.
„Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst Du das?“
So fragt Jesus auch uns! Denn Glaube ist keine allgemeine Lebenseinstellung, sondern personengebundenes Bekenntnis zu Jesus, dem Christus, den Gott in die Welt gesandt hat, damit wir zum Leben finden, das durch den Tod führt und ewig ist.
Glaubst Du das?
Dann lass es zu, dass diese Frage Dich bis ins Herz hinein bewegt, damit Du dann von Herzen bekennen kannst, wie Martha es in der Gemeinschaft mit den Glaubenden aller Zeiten damals beim Tod ihres Bruders bekannt hat:
„Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.“
Joh 11, 17-27
11,17 Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen.
11,18 Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa eine halbe Stunde entfernt.
11,19 Und viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, sie zu trösten wegen ihres Bruders.
11,20 Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber blieb daheim sitzen.
11,21 Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.
11,22 Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben.
11,23 Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.
11,24 Marta spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage.
11,25 Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben,
auch wenn er stirbt;
11,26 und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?
11,27 Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der
in die Welt gekommen ist.