Weihnachten – da haben wir die Bilder der altbekannten Weihnachtsgeschichte, wie sie uns der Evangelist Lukas berichtet, vor Augen: Mit Maria und Josef im Stall von Bethlehem, dem neugeborenen Christuskind in der Krippe, den Verkündigungsengeln und den zu Tode erschrockenen Hirten. Die Älteren unter uns haben dieses Weihnachtsevangelium als Kind noch auswendig gelernt:
„Es begab sich aber zu der Zeit, …….“
Und selbst, wer sonst von der Bibel nichts oder nicht viel weiß, denkt, wenn das Stichwort „Weihnachten“ fällt, genau an diese Bilder, diese Szenen. So tief ist die Weihnachtsgeschichte des Lukas in unsere Vorstellungswelt eingedrungen, ist sie, man könnte fast sagen, Teil unseres gesellschaftlichen Bewusstseins geworden.
Dem Apostel Paulus, der etwa 40 Jahre vor der Entstehung des Lukas-Evangeliums als Missionar tätig war, ist diese Weihnachtsgeschichte jedoch mit allergrößter Wahrscheinlichkeit noch nicht bekannt gewesen.
„Seine“ Weihnachtsgeschichte ist hingegen äußerst knapp gehalten, umfasst nur einen Satz und beschränkt sich auf das für ihn Wesentliche:
Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Galater 4,4+5
Kurz und bündig, ohne uns durch besondere Ausschmückungen abzulenken, konzentriert er sich auf die zentralen Aussagen zu Weihnachten:
- Weihnachten war nur möglich, weil Gott aktiv geworden ist, weil Gott gehandelt hat.
Weil Gott eingegriffen hat in die Weltgeschichte, als nach seinem Ratschluss die Zeit dafür reif war. Gott hat gehandelt und hat dadurch dem Lauf unserer Menschheitsgeschichte eine neue Wendung gegeben ,
- „dass er seinen Sohn gesandt hat in unsere Welt.“ Gottes Sohn „wird“ Mensch. Seit fast 2000 Jahren haben sich unzählige TheologInnen den Kopf darüber zerbrochen, wie das überhaupt zu verstehen ist. Gottes Sohn und Mensch – war Jesus dadurch dann mehr Gott oder mehr Mensch oder war in ihm Gott gar Mensch geworden?
Mit zwei kurzen Bemerkungen beendet Paulus all diese Spekulationen über die Art und Weise der Menschwerdung des „Gottessohnes“:
- „geboren von einer Frau“ – Jesus ist kein Halbgott oder hat sich nicht als Gott einer menschlichen Gestalt bemächtigt, sondern er kam zur Welt wie jeder andere Mensch auch – als ein gewöhnlicher Säugling, geboren von einer gewöhnlichen Frau. Seine Geburt war weder mehr noch weniger geheimnisvoll als jedes Zur-Weltkommen eines Menschen, der als solches, weil er ein Geschöpf Gottes ist, immer auch „Kind, Sohn oder Tochter Gottes“ ist. Also ganz banal und einfach: Jesus wurde Mensch wie du und ich. Und dafür spricht auch die zweite Aussage, die Paulus in diesem Zusammenhang macht:
- „unter das Gesetz getan“ – Jesus war nicht privilegiert, nicht herausgenommen aus unserer menschlichen Wirklichkeit mit all dem, was für uns zu dieser Wirklichkeit dazu gehört an Licht und Schatten, Vermögen und Unvermögen, Sündig- und Schuldigwerden. Jesus wurde voll und ganz Teil unserer Welt, ihrer Geschichte. Er wurde Teil des Gottesvolkes, wurde Jude, wurde in diesem Glauben groß gezogen, wurde hineingegeben in unsere Geschichte des Zusammenlebens mit all ihren Auseinandersetzunge, Gesetzmäßigkeiten, mit ihren Regeln und Gesetzen, die einzuhalten sind, mit ihren Abhängigkeiten, mit ihren Begrenztheiten, mit ihrer oft nicht leichten Erfahrung von Macht und vor allem von Ohnmacht. Der Sohn Gottes „ist“ ein Mensch, ist einer von uns, wird uns damit zum Bruder. Und dies lässt schließlich erkennen: So wichtig, so wertvoll ist für Gott unser Menschsein.
- Aber damit noch nicht genug. Dieser Mensch gewordene „Sohn“ Gottes kommt mit einem Auftrag, „damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste“. Verkündigung und Werk Jesu bis hin zum Kreuz stehen unter dem Auftrag Gottes, uns Menschen zu erlösen, uns frei zu machen von falschen Abhängigkeiten und Gesetzmäßigkeiten, die uns versklaven. Er ist gesandt, um uns durch seine Botschaft zu verantwortetem Leben in Freiheit zu verhelfen. Um uns Mut zu machen zu einem Leben und vor allem zu einem Zusammenleben in Freiheit, einer Freiheit, die uneingeschränkt allen gilt. Mut wodurch? Durch die Zusage, dass Gott uns alle lieb hat, genauso wie Eltern ihre Kinder lieb haben. Oder, wie Paulus es ausdrückt:
- „damit wir die (Gottes-) Kindschaft empfingen.“ Ein schönes Bild, das der Paulus da gebraucht. Durch den, den Gott uns zum Bruder gemacht hat, werden wir als seine Brüder und Schwestern offenbar als das, was wir schon immer sind: Kinder Gottes. Das Großartige, was uns durch die Weihnachtsbotschaft aufgehen soll, ist die Zusage: „Ihr seid genauso Gottes Kinder wie er!“ Und damit wird deutlich: Gott geht es an Weihnachten gar nicht nur um dieses Kind „in der Krippe“, sondern um uns, um unser Selbstverständnis, um unser Leben und um unsere Lebensfreude.
An anderer Stelle wird Paulus die Wirkung der Verkündigung Jesu auf unser Leben so kennzeichnen:
„Zur Freiheit hat euch Christus befreit. Darum lasst euch nicht wieder knechten von den Mächten, von deren Herrschaft und Herrschaftsanspruch über euch er euch befreit hat. Deshalb traut euch etwas zu. In der Nachfolge Jesu habt ihr die Kraft und die Fähigkeit dazu, euch wehren gegen gegen all diese Abhängigkeiten, gegen all die scheinbaren Gesetzmäßigkeiten, gegen diese Mächte, die alles zu regieren scheinen, und euch von ihnen allen zu lösen. In der Nachfolge Jesu habt ihr die Kraft und die Fähigkeit dazu, ihnen nicht mehr das Feld zu überlassen und dadurch Gottes Welt menschlicher und damit gottgewollter zu gestalten.“
Aber auf jeden Fall: Er, Gott, der an Weinachten in die Weltgeschichte eingegriffen hat, ist und bleibt der Herr der Welt – allen anders lautenden Behauptungen und Erfahrungen zum Trotz!
Deshalb: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens!