Es gibt wohl kaum ein Lied in unserem Evangelischen Gesangbuch, das für uns so eng mit dem Reformationesfest verbunden ist wie eben dieses „Ein feste Burg ist unser Gott“. Martin Luther hat es etwa zehn Jahre nach dem Anschlag seiner 95, übrigens in lateinischer Sprache verfassten Diskussionsthesen zur Bußpraxis seiner Kirche gedichtet und komponiert. Was hatten diese Thesen in der Folgezeit nicht für einen ungeheuren Wirbel in Deutschland und über Deutschland hinaus, aber nicht zu vergessen, auch bei Luther selbst ausgelöst!
Schnell waren sie ins Deutsche übersetzt worden und hatten sich wie ein Lauffeuer überallhin in Europa verbreitet, was übrigens ohne die neuen Erkenntnisse in der Buchdruckerei durch jenen Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg, wohl so nie möglich gewesen wäre. Denn seine Entdeckung der Druckerei mit beweglichen Lettern war die Vorraussetzung für das, was bei uns mittlerweile, oft sogar in belästigender Art und Weise, Gang und Gebe ist: Die Information durch Flugblätter.
Es kam zu heißen Lehrgesprächen; hochkarätige Theologen sollten im Auftrag der Bischöfe und dann auch des Papstes den vorlauten Augustinermönch Luther zum Schweigen bringen. Dies gelang ihnen jedoch nicht. Im Gegenteil: Immer mehr Menschen interessierten sich für das, was er sagte, und sympathisierten mit ihm. Obwohl mittlerweile in Rom ein Ketzerprozess gegen ihn angestrengt worden war, verfasste Luther drei für die Bewegung der Reformation grundlegende Schriften. Der päpstliche Bann wird ihm angedroht, seine Bücher werden öffentlich verbrannt. Als Luther daraufhin seinerseits das entsprechende päpstliche Schreiben öffentlich verbrennt, reagiert der Papst mit dem Bann. Luther ist aus der katholischen Kirche ausgeschlossen. Auf dem nächsten Reichstag in Worms wird über ihn (wie übrigens auch über seine Anhänger) nach seiner Weigerung zu widerrufen („Ich widerrufe nicht, wenn ich nicht durch das Wort der Bibel widerlegt werde!“) die Reichsacht verhängt und die Verbrennung aller seiner Schriften angeordnet. Als er Worms verlässt, wird er zu seiner eigenen Sicherheit von seinen Freunden auf die Wartburg entführt, wo er in der Folgezeit u.a. mit der Übersetzung der Bibel ins Deutsche beginnt. Aufgrund der Bilderstürmer und anderer Fehlentwicklungen entschließt er sich, nach Wittenberg zurückzukehren, wo er sich trotz seiner Verurteilung der ungeklärten politischen Situation im Deutschen Reich wegen mit der Umsetzung seiner reformatorischen Gedanken beschäftigen konnte. Eine unruhige Zeit, in die der Aufstand der Reichsritter gegen das Erzbistum Trier fiel; es folgten die Bauernkriege; ganz abgesehen davon, die innerkirchliche Auseinandersetzung zwischen der römischen Kirche und der ja eigentlich verbotenen Reformbewegung tobten weiter.
In dieser Zeit der Anfeindung und der Ungewissheit, aber auch der Erfahrung der eigenen Begrenztheit – was er losgetreten hatte, war wie eine Lawine, die er selbst nicht mehr zum Stehen bringen oder auch nur lenken konnte! – verdichtete Luther ausgehend von den Bildern des Psalms 46 seinen Glauben, sein Denken und seine bis dahin gemachten Erfahrungen in die vier Strophen des Liedes „Ein feste Burg“, auf deren Botschaft wir nun einmal ein wenig bewusster miteinander achten wollen.
Singen wir dazu die erste Strophe 362,1:
ad 1: In dieser Strophe geht es um das Gottvertrauen; in ihr bezeugt uns Luther, von woher unser Leben einzig und allein Sinn und Sicherheit gewinnen kann: Es sind nicht die Burgen der Mächtigen, in die wir uns flüchten könnten; es sind nicht die diversen Waffen, die wir im Kleinen wie im Großen gegeneinander anhäufen; es sind auch nicht vielen Abwehrmechanismen, mit denen wir meinen, uns gegen alles und jeden absichern zu können. Gott vertrauen zu können, egal, wie es um mich oder meine Umwelt steht, das ist das wichtigste Gut, das wir haben. Und das merken wir vor allem dann, wenn unsere Burgen, die wir zu unserer Sicherheit gebaut haben, plötzlich einstürzen, wenn wir uns auf einmal unserer Wehrlosigkeit und Ohnmacht bewusst werden, wenn wir nichts mehr haben, womit wir uns verteidigen können. Verteidigen – gegen wen?
„Der altböse Feind, mit Ernst er´s jetzt meint; …….“
Zum Glück ist die Zeit vorbei, in der damit mehr oder weniger offiziell die römisch-katholische Kirche gemeint war. Aber, und das lehrt uns die Bibel alten und neuen Testaments: Feind ist alles, was sich gegen Gott, also was sich letztlich gegen das Leben richtet.
Und da merken wir sehr schnell, wie hochaktuell dieser Liedvers in unserer Zeit ist Wir sollen das suchen, was zum Leben führt. Nur, das finden wir eben nicht bei uns selbst, sondern bei dem, der der Herr allen Lebens ist, auch wenn wir ihn nicht sehen oder beweisen können. Deshalb gibt es da nur das eine: Gottvertrauen, offen zu sein dafür, wie Gott sich mir je und je in meinem Leben erfahrbar macht.
Singen wir nun die zweite Strophe 362,2:
ad 2: In dieser Strophe geht es, auch wenn es zunächst gar nicht so aussieht, um unser Selbstvertrauen. Luther hat dies am eigenen Leibe nur zu deutlich erfahren: Unser christliches Selbstvertrauen ist nicht Folge unserer Erkenntnis, wie toll wir sind oder was wir nicht alles können. Wenn es um unsere Macht ginge, dann wären wir gewiss „gar bald verloren“. Wer sich mit oder an Gott messen will, und dies tut ja übrigens recht besehen jeder Mensch, wer meint, ohne Gott leben zu können, endet früher oder später in der Verzweiflung. Wobei diese Verzweiflung sich hinter ganz unterschiedlichen, selbst hinter fröhlichen Gesichtern zu verbergen vermag.
Woher bekommen wir ChristInnen unser Selbstvertrauen, obwohl wir zugeben, dass „mit unserer Macht nichts getan ist“? Ganz einfach: Wir bekommen es, weil wir zugeben können, dass „mit unserer Macht nichts getan ist“. Weil wir uns selbst und auch den anderen nichts vormachen müssen über uns selbst; weil wir dem angehören, „dem im Himmel und auf Erden alle Macht gegeben ist“, den Gott zum Herrn dieser Welt gemacht hat: Weil wir zu Jesus Christus gehören.
Also: Ohne Gottvertrauen kein Selbstvertrauen!
Singen wir nun die dritte Strophe 362,3:
ad 3: In dieser Strophe geht es um, ich möchte es einmal nennen, Weltvertrauen. Was erwarte ich von dieser Welt? Wie nehme ich als Christ/in die Welt, in der ich lebe, wahr? Wie sehe ich sie? Etwa als Ort, an dem ich gefordert bin, oder als lästige Zwischenstation auf dem Weg zum Himmel (oder zur Hölle)? Bin ich von dieser Welt oder nicht? Darf ich als Christ/in weltfremd sein? Weltvertrauen im Sinne von Weltverantwortung?!
Ich wünsche mir gerade in unserer Zeit, in der so viel Pessimismus, Verdrossenheit und Hoffnungslosigkeit die Erwartungen vieler an unsere Welt kennzeichnen, diese gelassene Fröhlichkeit Luthers, die singen kann: „Und ob die Welt voll Teufel wär“. Er hätte ja damals auch allen Grund dazu gehabt zu klagen und zu befürchten, was kommen mag. Aber er hat die Welt, in der er lebte, bejaht, manchen Kritikern zufolge sogar ein wenig zu sehr.
Gott hat uns diese Welt anvertraut, dass wir sie bebauen und bewahren, dass wir sie ernstnehmen – und dass wir sie genießen. Dass wir alles, was in unserer Macht steht, dafür tun, um dem Leben zu dienen, selbst wenn andere meinen, es wäre dazu schon längst zu spät. Gegen alle Hoffnungslosigkeit anzuhoffen, weil uns nicht die Angst lähmt, sondern weil uns Gottes Verheißung auf Leben dazu befreit, dies ist die Botschaft für die Welt, die wir ChristInnen mit Leben füllen dürfen.
Da die letzte Strophe dieses Liedes meist voll Bekennermut sehr unbedacht dahingeschmettert wird, wollen wir sie jetzt lieber nur mitlesen, während die Orgel die Melodie spielt:
ad 4: In dieser Strophe geht es um das Bekenntnis, um das Bekenntnis zu Gott und zu seinem Wort, dem Luther sich allein verpflichtet wusste. Es ist einzige Richtschnur des Glaubens und Wandels! In der Begegnung mit diesem Wort entdeckte er wieder neu, was lange in Vergessenheit geraten war: Dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein aus dem Glauben (Röm 3). Der Grundgedanke seiner Reformation! Nicht was wir tun, zählt, sondern dass wir glauben.
Und dazu sollen wir dann auch öffentlich stehen, bis in die letzte Konsequenz hinein. Luther hat dies getan. Und deshalb soll er auch mit Recht den zweiten Teil der Strophe singen dürfen. Vielleicht jedoch singen wir eingedenk dessen, wozu wir in der Konsequenz des Glaubens bereit oder eben auch nicht bereit sind, diese Strophe beim nächsten Mal in diesem Bewusstsein ein wenig leiser, aber dafür um so bewusster.
Amen.