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Von guten Mächten wunderbar geborgen (neu)

Von guten Mächten wunderbar geborgen

erwarten wir getrost, was kommen mag.

Gott ist mit uns am Abend und am Morgen

und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Dietrich Bonhoeffer

Die Verse jenes Gedichtes (siehe am Ende dieser Predigt), entstanden im Dezember 1944, von denen der oben zitierte 7. Vers der bekannteste ist, spiegeln in unvergleichlicher Dichte das Gefühl tiefsten Geborgenseins eines Menschen wieder, dessen Leben von ihn umgebende „böse“ Mächte Tag für Tag bedroht war. Seit April 1943 befand sich der Pfarrer Dietrich Bonhoeffer in Gefangenschaft der GESTAPO, die ihn als Mann des Widerstandes gegen Hitler festgenommen hatte. Oft sah es in der Folgezeit so aus, als ob man ihm nichts nachweisen könne. Aber das war für die Nazis kein Grund, ihn freizulassen. Einen zum 5. Oktober 1944 vorbereiteten Fluchtversuch nahm er nicht wahr, weil er Sippenhaftung durch die Nazis befürchtete und seine Familie nicht weiter gefährden wollte. Am 19. Dezember 1944 dann fügte er seinem Weihnachtsbrief an seine Verlobte, wie er schrieb, ein paar Verse bei, „die mir in den letzten Abenden einfielen“, als „Weihnachtsgruß für Dich und die Eltern und Geschwister“, von denen die ersten lauten:

„Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.“

Dieses persönlich-biografische Gedicht bezog sich auch auf seine eigene Situation als Gefangener und die seiner Familie vor dem unausgesprochenen Hintergrund der NS-Herrschaft und des Krieges. Sein Bruder Klaus sowie die Schwäger Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher waren aus demselben Grund wie er inhaftiert, Bruder Walter war im 1. WK gefallen, seine Zwillingsschwester Sabine war mit ihrem jüdischen Mann Gerhard Leibholz ins Ausland gegangen.

Am Anfang dieses Briefes schrieb Bonhoeffer:

„So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt. Du (damit meinte er seine Verlobte) und die Eltern, Ihr alle, die Freunde und Schüler im Feld, Ihr seid immer ganz gegenwärtig.[…] Wenn es im alten Kinderlied von den Engeln heißt: ‚zweie, die mich decken, zweie, die mich wecken‘, so ist diese Bewahrung am Abend und am Morgen durch gute unsichtbare Mächte etwas, was wir Erwachsene heute nicht weniger brauchen als die Kinder.“

In der Morgendämmerung des 9. April 1945, kurz vor Beendigung des Krieges und der Naziherrschaft, wurde Bonhoeffer im KZ Flossenbürg am Galgen hingerichtet. Auf dem Weg zum Galgen trug er seinem Mitgefangenen Payne Best auf, folgende Worte an George Bell, jenem anglikanischen Bischof, mit dem Bonhoeffer im Zusammenhang mit dem Widerstand wiederholt konferiert hatte, zu überbringen: „This is the end, for me the beginning of life.“ „Dies ist das Ende, für mich der Anfang des Lebens.“

Nach dem Krieg gab es theologischerseits manche kritische Äußerung gegen Bonhoeffer, weil er „politisch“ agiert, weil er den politischen Widerstand gegen Hitler unterstützt hat. In manchen Schriften und in seiner unvollendet gebliebenen Ethik hat Bonhoeffer sein Verhalten kritisch reflektiert und war u.a. zur Erkenntnis gekommen:

„Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen sind keine christlichen Haltungen. Den Christen rufen nicht erst die Erfahrungen am eigenen Leibe zur Tat und zum Mitleiden, sondern die Erfahrungen am Leibe der Brüder, um derentwillen Christus gelitten hat.“

Und an anderer Stelle beantwortete er die Frage nach dem Tyrannenmord „Darf ein Christ gegen das Gebot „Du sollst nicht morden“ verstoßen?“ für diesen konkreten Fall mit einem eindeutigen Ja, wobei er sich durchaus der Tatsache bewusst blieb, dass die Schuld, die er mit einem Tyrannenmord auf sich laden würde, niemals dadurch gerechtfertigt werden könnte, dass damit größere Schuld verhindert worden wäre. Mit der Schuld, einen Menschen getötet zu haben, selbst wenn es sich dabei um einen mörderischen Tyrannen gehandelt haben mag, wird der Tyrannenmörder immer leben müssen.

Gleichwohl betonte er in seinem persönlichen Glaubensbekenntnis:

„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum (= Schicksal) ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“

Da ist es wieder, dieses tiefe Gottvertrauen, in dem Bonhoeffers Gefühl der allumfassenden Geborgenheit bei und in Gott gründet, dieses tiefe Gottvertrauen, das ca. 300 Jahre früher Paul Gerhardt dichten lässt:

„Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“

Oder eben:

„Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Das Vertrauen darauf: Gott will, dass mein Leben gelingt, mit all seinen Hochs genauso wie mit seinen Tiefs, mit all seinem Licht genauso wie mit seinen Schatten, mit all meinen Erfolgen genauso wie mit meinen Fehlern. Und er will mir dabei helfen.

In meinem Konfirmandenunterricht war mir immer ganz wichtig, dass die Konfis über die Bedeutung des alttestamentlichen Gottesnamens Bescheid wussten: „Jahwe“ (hebräisch) bedeutet auf Deutsch „Ich werde sein“, „Ich werde für dich da sein“ – wenn Du das willst, wenn Du mich suchst und aufsuchst, wenn ich Dir etwas bedeute.“ Das ist Gottes Versprechen für uns. Sein Name ist sein Programm!

Wie er „für Dich da sein wird“?

Durch seine guten Mächte, derer er sich bedient, um Dir und mir seine Nähe spürbar und erlebbar werden zu lassen. Bonhoeffer selbst spricht von den „Engeln“ als den Wirkweisen göttlicher Gegenwart, die damit weit hinausgehen über die Vorstellung „geflügelter Wesen“. Gute Mächte, – das kann alles und jedes sein, kann jeder Mensch, kannst auch Du und ich sein, alles und jeder/jede, deren Gott sich bedient, um sein „Ich werde für Dich da sein“ für uns Wirklichkeit werden zu lassen: Ein gutes Wort genauso wie eine liebevolle Umarmung; ein erhebender Anblick genauso wie die Resonanz wohltuender Klänge; erhellende Worte genauso wie die Kraft zum Schweigen; die Erfahrung von Zugehörigkeit genauso wie das Geschenk temporärer Einsamkeit; die Glücklichkeit über Gelingen genauso wie die Erfahrung, im Versagen aufgefangen zu werden; erfahrene Zärtlichkeit genauso wie die Gabe der Barmherzigkeit.

Wisst Ihr, wenn wir nicht mehr auf spezielle Engelsvorstellungen fixiert sind, dann werden wir viel bewusster und deutlicher den „Engelreichtum“ göttlicher Gegenwart in unserem Leben wahrnehmen können. Und das wiederum wird in unser Gefühl der Geborgenheit bei Gott vertiefen und verfestigen und uns, jeden und jede von uns, für sich selbst und dann schließlich auch wiederum gemeinsam mit Bonhoeffer zu dem hoffnungsvollen Bekenntnis hinwachsen lassen:

„Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Aus dem Brief vom 19. Dezember 1944 von D. Bonhoeffer an seine Verlobte Maria von Wedemeyer aus dem Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamts in Berlin:

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