Eine ungewohnte Wahr-Nehmung des 2. Schöpfungsberichts (Genesis 2,4b ff.)
Ein wunderschönes Bild!
Wie ein Töpfer formt Gott aus Ackererde liebevoll eine menschliche Gestalt und belebt sie, indem er sie durch die Nase beatmet, ihr seinen göttlichen Odem einbläst. Und so wird diese getöpferte menschliche Gestalt eine „lebendige Seele“ (hebräisch) oder wie Martin Luther es ins Deutsche übersetzt „ein lebendiges Wesen“.
Wohl wissend, dass das Hebräische nur zwei Genera – männlich und weiblich – kennt, finde ich Luthers Übersetzung sehr treffend und hilfreich. Denn hier wird berichtet von der Erschaffung des Menschen und nicht von der Erschaffung des Mannes oder der Frau.
Gottes Gegenüber ist in diesem Moment weder ein „Er“ noch eine „Sie“, sondern ein „Es“, eben „ein lebendiges Wesen“.
Und Gott setzt sein Liebeswerk fort. Er pflanzt für dieses menschliche Wesen einen Garten, wie eine Oase inmitten einer Wüste; einen Garten, in dem Bäume wachsen mit vielerlei Früchten, inklusive der beiden Bäume des Lebens und der Erkenntnis, die später noch eine Rolle spielen sollen.
Er setzt das menschliche Wesen in diesen Garten und gibt ihm den Auftrag, „ihn zu bebauen und zu bewahren“. Und dann gibt er ihm folgende Information: „Von allen Bäumen darfst du essen. Aber lass deine Finger weg von den Früchten des Baums der Erkenntnis. Sie tun dir nicht gut und führen, wenn du von ihnen isst, letztlich zum Tod. Vertrau mir da einfach! Ich meine es gut mit Dir!“
Dann aber stellt Gott fest, dass es nicht gut ist, dass sein Geschöpf alleine lebt. Dass es eine Hilfe, ein Gegenüber braucht, das ihm entspricht, das es ergänzt.
Er schafft daraufhin Tiere und Vögel für sein Geschöpf, zeigt sie ihm und lässt es ihnen Namen geben, was es dann auch tut. Aber es findet unter ihnen keines, das ihm als Gegenüber, als Ergänzung entspricht.
Da lässt Gott, wiederum voller Liebe geschildert, sein Geschöpf in einen Schlaf fallen und entnimmt ihm, wohlgemerkt, um ihm eine Ergänzung zu schaffen!, eine Rippe und gestaltet daraus eine „Sie“, wodurch das „Es“ zu einem „Er“ wird.
Diese „Sie“ bedarf keiner Belebung durch den göttlichen Odem mehr, weil sie ein Teil des „Lebendigen Wesens“ ist, genauso wenig wie der „Er“.
Aus der „lebendigen Seele“, aus dem „lebendigen Wesen“ werden gleichsam durch einen zweiten göttlichen Schöpfungsakt zeitgleich die Frau und der Mann, aus dem „Es“ die „Sie“ und der „Er“.
Oder anders gesagt: Indem Gott aus einem Teil des menschlichen Wesens die Frau erschafft, wird aus seinem anderen Teil der Mann.
Der zweite Schöpfungsbericht schildert also letztlich die Entstehung von Frau und Mann als gleichberechtigte Bestandteile des zuvor von Gott erschaffenen menschlichen Wesens. Das ist sein zentrales Thema!
Die Gewohnheit, diesen Text als Lesung, also als festen Bestandteil innerhalb der Hochzeitsliturgie zu hören, führt bei vielen zu dem Schluss, dass es sich bei diesem zweiten Schöpfungsbericht um einen Grundlagentext für eine von der Bibel gewollte heterosexuelle Ehe bzw. Partnerschaft zwischen Mann und Frau handelt.
Dies scheint mir jedoch nicht der Fall zu sein, selbst wenn es dann später heißt: „Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen …….“
Es geht diesem Bibeltext vielmehr um die Entstehung der beiden Geschlechter und um ihre schöpfungsgewollte Gleichberechtigung.
Wenn man aus diesem Text einen Hinweis auf die Gleichwertigkeit der Geschlechter finden will, so scheint mir das nicht zwingend. Genauso wenig ist daraus allerdings das Gegenteil ableitbar.
Der Gedanke, dass durch Schaffung der Frau der Mann erst zum Mann wird ist aber interessant. Beide sind damit aufeinander zu geschaffen und von gleicher Wichtigkeit und Würde.
Die Herabsetzung der Frau im Lauf der Geschichte hat ihre Ursache nach meiner Überlegung in einem grundsätzlichen Hang zur Macht.
Menschen versuchen immer wieder sich über andere zu erheben und nutzen dabei ihre Schwächen aus.
So kam es zu Sklaven, Leibeigenen, Knechten, Herren, Hausfrauen, Flüchlingen … .
Leider benutzt auch die kath. Kirche solche Praktiken, um ihr Machtpotenzial zu erhalten und auf kostenlose und einträgliche Dienste zurückgreifen zu können.
Das Problem dabei ist die Widersprüchlichkeit dieser Praktiken in Bezug auf die Quellen des Christentums. Man opfert den Wert des Glaubens dem Erhalt eines weltlichen Machtsystems.
Dadurch gerät Religiösität in die Anrüchigkeit und wird zur Gefahr: Opium fürs Volk.
Vielen Dank für den Kommentar! „Von gleicher Wichtigkeit und Würde“ – das meine ich mit Gleichwertigkeit der Geschlechter oder wie ich es im Text schreibe, von der Gleichberechtigung der Geschlechter. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass, und dies zeigt ja die Fortsetzung dieses 2. Schöpfungsberichtes in Gen. 3, die fehlende Gleichberechtigung ein Produkt oder besser ein Merkmal der „gefallenen Schöpfung“ ist – „und er soll dein Herr sein!“