„Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben.“
(Römer 1,16+17)
Mit diesen Worten bricht die tief empfundene Freude und Dankbarkeit über die unbegreifliche Liebe und Güte Gottes aus einem heraus, der persönlich erlebt hat, wie sie ihn förmlich umgedreht, zu einem anderen Menschen hat werden lassen.
Zwei Verse aus dem Römerbrief, jener großartigen Predigt, mit der sich der Apostel Paulus der ihm noch unbekannten Gemeinde in Rom vorstellt. Zwei Verse, mit denen er gleich zu Anfang seines Briefes die zentralen Inhalte seiner Verkündigung zur Sprache bringt. Zwei Verse, die es in sich haben. Recht besehen ist der ganze Römerbrief nichts anderes als eine ausführliche Erläuterung dieser beiden Verse.
Das Evangelium – eine Kraft Gottes, die uns Menschen selig, und das heißt glücklich, lebensbejahend, lebenstüchtig macht.
Das ist die Lebenserfahrung, die er ganz persönlich gemacht hat: Er, der als frommer Jude namens Saulus die jungen christlichen Gemeinden in Angst und Schrecken versetzt hatte; für den die Botschaft, daß Jesus der Christus, d.h. der von den Propheten verheißene Messias sei, nichts anderes als Gotteslästerung war; der mit allen Mitteln versucht hatte, die Ausbreitung dieses Evangeliums zu verhindern. Durch eine besondere Glaubenserfahrung hatte er sich völlig unerwartet für alle, die ihn kannten, taufen lassen, um nunmehr selbst „so ein“ Christ zu werden. Und dann war er sogar zu dem wohl bedeutendsten Missionar dieses Evangeliums geworden. Als Apostel vielfach eingesperrt, ausgepeitscht, mit dem Tode bedroht; von seinen Gegnern ausgelacht und verspottet ob seiner unansehnlichen Gestalt oder weil er kein guter Redner war; einer, der bei den übrigen Aposteln um seine Anerkennung als Apostel und um die Erlaubnis, dieses Evangelium von Jesus Christus auch Nicht-Juden verkündigen zu dürfen, hart hatte kämpfen müssen.
Er hat mit eigener Person die Erfahrung gemacht, dass dieses Evangelium wirklich „eine Kraft Gottes“ ist, eine Kraftquelle, die ihm immer wieder geholfen hat, durchzuhalten, weiterzumachen, die Hoffnung nicht zu verlieren, sich selbst nicht aufzugeben, ja, auch mit seinen Schatten leben zu lernen. Er hatte das erlebt, nicht nur bei sich selbst, sondern auch bei vielen anderen, denen er auf seinen Reisen begegnete, dass der Glaube an dieses Evangelium, das Vertrauen darauf, dass Gott es gut meint mit uns Menschen, unserem menschlichen Leben unbekannte Perspektiven, neuen Sinn und neue Hoffnung eröffnen kann. Und dass von dieser Glaubenserfahrung niemand ausgeschlossen ist, nicht einmal seine religiösen Gegenspieler, die Juden und die Griechen.
„Ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben!“
Ich würde mir wünschen, dass wir alle eindeutiger und mutiger für uns selbst sagen und bezeugen mögen: Ich schäme mich des Evangeliums nicht. Ich schäme mich dessen nicht, dass ich in meinem Leben umzusetzen versuche, was Gott von mir will, auch nicht auf die Gefahr hin, dass ich dadurch vielleicht anders denke, rede und handle als die anderen und bei ihnen dadurch unangenehm auffalle.
Es könnte dann in unserer Welt gewiss ganz anders aussehen. Dann hätten in ihr nicht vor allem die das Sagen, derer wir uns leider nur zu oft schämen müssen, weil sie versagen und dann versuchen, ihre Schwachheit hinter starken Sprüchen zu verbergen.
Fehlt noch der zweite Vers von Paulus:
„Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben.“
Luther hat von diesem zweiten Vers einmal gesagt:
„So ward mir wahrlich jene Stelle bei Paulus zur Pforte des Paradieses.“
Dieser eine Vers hatte ihn total aus dem theologischen Gleichgewicht gebracht und war so zum Auslöser für die Reformation geworden. Er schrieb weiter: „Ich brannte glühend darauf, zu wissen, was der heilige Paulus eigentlich wollte. Da ich Tag und Nacht den Zusammenhang jener Worte überdachte, begriff ich, da Gott sich meiner erbarmte, es endlich.“ Und dadurch, dass er diesen alten Satz neu verstehen lernte, „hatte“, so schrieb er weiter, „die ganze Heilige Schrift ein anderes Gesicht für mich.“ Er wurde für ihn gleichsam zum Schlüssel, der ihm ein neues Verständnis der Bibel in ihrer Gesamtheit erschloss. Worin bestand nun dieses Neue?
Luther fasste es einmal so zusammen: „Nicht der ist gerecht, der beharrlich Werke tut, sondern der ohne Werk beharrlich an Christus glaubt.“
Es ist Gottes und nicht unser Werk, dass er uns annimmt, so wie wir sind, mit unseren Licht- und Schattenseiten, dass er uns seine Liebe schenkt, für die wir nichts tun können, außer sie freudig und dankbar anzunehmen im Glauben, also indem wir diesem uns liebenden Gott vertrauen.
Die Gerechtigkeit Gottes, so bereits Paulus im Römerbrief, und das hatte Luther damals wieder ganz neu als die befreiende Botschaft des Evangeliums entdeckt, besteht nicht darin, dass Gott unsere schlechten mit unseren guten Werken verrechnet, was unweigerlich zu unseren Ungunsten ausfallen würde, sondern dass er gnädig, Gnade vor Recht ergehen lassend, all diejenigen annimmt, die an ihn glauben. Und was ist dann mit den guten Werken? Luther sagt dazu: „Gute Werke machen nicht einen guten Menschen; aber ein guter Mensch macht gute Werke.“ Der Glaube wirkt sich, wenn er echt ist, wenn er von innen heraus kommt, von ganz allein aus in all unserem Denken, Reden und Tun, ohne dass wir immer wieder dazu angehalten werden müssten.
Und Kirche, Kirche lebt eben nur dort, wo Menschen freudig und dankbar mit ihrem ganzen Leben bekennen:
„Ich schäme mich dessen nicht, dass ich mich an der Verkündigung Jesu ausrichte, dass ich auf sie vertraue, weil sie eine Kraft ist, die in mir immer neu den Glauben stärkt, und die mir zusagt, dass Gott sich in meinem Leben als der Mächtige erweisen wird, mächtiger als alle übrigen Mächte und Gewalten – im Himmel und auf der Erde.“