Die Versuchungsgeschichte Jesu als Paradigma für uns
Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«
Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«
Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
(Matthäus 4,1-10 Altes Evangelium zu Invocavit)
Drei Versuchungen, denen Jesus zu Beginn seiner Tätigkeit als Wanderprediger und Wunderheiler sich ausgesetzt sah und denen er widerstand.
Drei Versuchungen, die uns die Nachfolge Jesu, den Glauben an Gott immer wieder erschweren.
Drei Versuchungen, bei denen wir immer wieder in der Gefahr stehen, uns eher dem Geist der Welt als dem Geist Gottes zu öffnen.
Versuchungen, denen wir in unserem Alltag ausgesetzt sind, egal, ob wir nun an die Existenz eines Teufels glauben oder nicht.
Die erste Versuchung:
„Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“
Jesus widersteht hier der Versuchung der Machbarkeit.
Du kannst es doch; also dann mach es doch auch!
Was wird bei uns heute nicht alles diesem Gott der Machbarkeit geopfert! Was können wir heutzutage nicht schon alles, von dem Menschen noch vor wenigen Jahrzehnten nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Wir können immer mehr und wir machen auch immer mehr, was wir können, oft jedoch ohne die Gefahren abschätzen zu können, in die wir uns dadurch begeben. Und immer wieder müssen wir uns einerseits durch schmerzliche Erfahrungen eingestehen, dass eben nicht alles gemacht werden darf, was gemacht werden kann. Andererseits begegnen wir in unserer Gesellschaft zunehmend der Einstellung: Letztlich wird für uns alles machbar sein, wenn nicht heute, dann eben morgen oder übermorgen. Die Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten ist eine äußerst gefährliche Versuchung für den modernen Menschen.
Abgesehen davon: Ein Mensch, der so von sich denkt, der meint, er könne letztlich alles, der meint in der Konsequenz dessen eben auch, er brauche keinen Gott mehr; ja, der kann ihn auch gar nicht brauchen, weil Gott mit seinen Geboten und Ordnungen für ihn eher ein Störfaktor ist; der hat in seinem Leben keinen Platz mehr für den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, weil er selbst danach strebt, allmächtig, Schöpfer des Himmels und der Erde, das Maß aller Dinge zu sein. Und riskiert zugleich damit, diese Schöpfung zu zerstören.
»Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, also von dem, was für ihn machbar ist, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« Er braucht Wegweisung; er braucht Kriterien für das, was er machen darf und was nicht. Ja, er lebt davon, dass Gott ihn mit seinem wegweisenden Wort anspricht und dass er auf dieses ihn ansprechende Wort Gottes hört und sein Leben und Zusammenleben an ihm ausrichtet.
Die zweite Versuchung:
„Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«“
Jesus widersteht der Versuchung, Gott zu gebrauchen.
Wir sind immer wieder der Versuchung ausgesetzt, Gott zu gebrauchen, statt ihn zu brauchen. Dass wir ihn gebrauchen zum Beispiel als Alibi für eigene Untätigkeit oder Leichtfertigkeit: „Gott wird´s schon richten.“ Oder indem wir ihn dann ins Spiel zu bringen, wenn es uns argumentativ in den Kram passt oder uns für unser Image nützlich erscheint. Gott als Mittel zur Erreichung unserer Zwecke zu gebrauchen bedeutet zugleich immer auch, ihn für eigene Interessen zu missbrauchen.
»Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«
Wer Gott braucht, wer ihn zum Leben braucht, wird sich bemühen, auf sein Wort zu hören, es zu verstehen, wird alles tun, was in seinen Kräften steht, damit „sein“ Wille geschehe auf dieser Erde; wird ihm vertrauen und aufhören damit, immer nur etwas aus sich selbst machen zu wollen. Wer Gott in sein Leben hinein nimmt, wird erfahren, dass Gott tatsächlich denen nahe ist, die sich auf ihn verlassen, die ihn brauchen.
Die dritte Versuchung:
„Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“
Jesus widersteht der Versuchung, sich auf falsche Versprechungen zu verlassen.
Dies ist die dritte große Versuchung:
„Das alles kann dir gehören. Du wirst dir alle deine Wünsche erfüllen können. Du musst mir nur deine Zukunft anvertrauen.“
Wie oft werden sie uns gemacht, diese Versprechungen von Glück und Erfolg, von Freiheit und Sicherheit, von höherem Bewusstsein oder tieferer Erkenntnis, – wirtschaftlich, menschlich, religiös! Die Gefahr, sich von diesen falschen Versprechungen verführen zu lassen, ist immens groß, weil sie unseren verborgenen Wünschen entsprechen und uns dadurch unkritisch und unvorsichtig machen.
Ist Euch aufgefallen? Der Versucher verspricht Jesus etwas, was ihm – recht besehen – überhaupt nicht gehört, worüber er gar nicht verfügt. Das Land, das er Jesus zeigt, ist allein Gottes Besitz! Er entlarvt sich damit selbst als Verführer und Betrüger.
Genauso die Verführer unserer Zeit: Sie versprechen uns ohne Skrupel, was recht besehen überhaupt nicht in ihrer Macht steht, was sie uns gar nicht zu geben vermögen.
Wie lässt sich dem entgegentreten? Wie lässt es sich verhindern, solchen Verführern auf den Leim zu gehen?
Die Antwort Jesu ist sehr einfach:
»Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
Gottvertrauen macht kritisch gegen alle anderen Machtansprüche. Gottvertrauen hilft uns, die Versucher unserer Zeit als Betrüger zu entlarven. Gottvertrauen befreit uns dazu, unseren eigenen, von Gott gewollten Weg zu finden.
Diese drei großen Versuchungen gefährden unseren Weg der Nachfolge: Der gottlose Wahn der Machbarkeit, der Missbrauch des Glaubens für eigene Zwecke und das blinde Vertrauen auf ohnmächtige Heilsbringer. Ihnen gilt es zu widerstehen. Und Jesus hat uns gezeigt, wie das möglich ist: Indem wir uns in unserem Gottvertrauen nicht beirren lassen, indem wir auf Gottes Wort hören; indem wir Gott mehr gehorchen als den Menschen.