Sei du mir wie ein starker Fels in der Brandung, auf dem ich Halt finde! (Psalm 31,3)
Immer, wenn ich diesen Vers aus dem Psalm 31 höre, kommt mir unwillkürlich ein Foto in den Sinn, das ich vor vielen Jahren einmal aus einem Spanien-Urlaub mitgebracht habe:
Es zeigt das blaue Meer, aufgewühlt, wie es sich zu gewaltigen Wellen auftürmend mit schäumender Brandung dem Ufer entgegen schlägt. Und in der Mitte dieses Bildes, mitten im Tosen dieser Wellen, – ein Fels; nicht sonderlich erhaben, aber doch hoch genug, dass selbst die größeren Wellen ihn nicht unter sich zu begraben vermögen, sondern sich lediglich an ihm brechen, wobei sich die ihnen innen wohnende Kraft in weit aufspritzenden, weißen Gischtfontänen entlädt.
Ein Fels, der sich ein ums andere Mal der ansonsten ungebremsten Gewalt des Meeres entgegenstemmt, der ihr Widerstand leistet, und das vermutlich bereits seit tausenden von Jahren und das vermutlich auch noch für weitere tausende von Jahren.
Oft bin ich damals zu diesem Felsen hinausgeschwommen. Es war ein ganz besonderes Erlebnis, auf ihm sitzend das Meer zu beobachten, in die sich pausenlos aufbauenden, mit Gewalt heranrollenden Wellen hinein zu blicken, die mich, die Oberfläche des Felsens leicht überschwemmend, mitzureißen drohten, um dann doch immer wieder neu die beruhigende Erfahrung zu machen, dass sie wohl gewaltig gegen den Felsen donnerten, aber, außer meinen Sitzplatz unter Wasser zu setzen und mich mit Gischt zu bespritzen, mir nichts anzuhaben vermochten. Trotz all dem Tosen, das mich bei jedem Auftreffen einer Welle umgab, fühlte ich mich absolut sicher dank dieses Felsens.
Und dies schien offensichtlich auch anderen Lebewesen auf diesem Felsen genauso zu gehen. So konnte ich kleine Krebse, Schnecken, irgendwelche Larven und sonstiges Kleingetier beobachten, wie sie sich im Moment des Wassersturzes einer Welle in Rillen, Löchern und Rändern des Felsens festgeklammert das Wasser einfach über sich weggehen ließen, um dann in den Wellenpausen wieder lebhaft hin- und herzukrabbeln.
Estomihi – sei mir wie ein starker Fels!
Wie schnell geraten wir in den Sog der Brandung unseres Lebens, werden wir konfrontiert mit gewaltigen Wellen, die sich ganz plötzlich vor uns auftürmen, die drohen, über uns zusammenzuschlagen, uns zu erdrücken oder uns mit sich zu reißen.
Da ist von einem Moment zum anderen unser Lebensglück, unsere Existenz von Grund auf erschüttert: Etwa durch den Tod eines uns lieben Menschen; durch eine tiefe Enttäuschung; durch den Verlust des sicher geglaubten Arbeitsplatzes; durch eine getroffene schwere Fehlentscheidung und deren Folgen; durch lieblose, unbarmherzige Vorurteile; durch die Bestätigung einer befürchteten ärztlichen Diagnose; durch das Zerbrechen einer Beziehung.
Die Wellen, die über uns zusammen zu schlagen drohen, haben die unterschiedlichsten Gesichter. Aber egal, welches dieser Gesichter uns anschaut, es ruft immer dieselbe Reaktion hervor: Die Angst vor dem Ertrinken.
Die Angst davor, dass unsere Kraft nicht ausreicht, um uns dieser Welle zu stellen; die Angst davor, dass unsere Kraft nicht ausreichen wird, um ihr auf Dauer Widerstand zu leisten.
Estomihi – sei mir wie ein starker Fels!
Der Beter des 31. Psalms eröffnet uns da eine ganz andere, tröstliche, eine uns wohltuende und zugleich beruhigende Sichtweise:
„Es geht nicht um deine Kraft,“ sagt er uns. „Es geht nicht um die Ausdauer deines Widerstandes. Es geht darum, dass du dich an den hältst, der wie ein starker Fels in der Brandung steht, der sich durch nichts und niemand erschüttern lässt. Es geht darum, dass du deine Kräfte nicht überschätzt und meinst, du müsstest dich selbst retten, sondern dass du deine Kräfte dafür einsetzt, dich wie jene Krebse oder Larven bei jenem Urlaubs-Felsen in Spanien an dem festzuhalten, festzukrallen, der die Macht hat, dich vor den Wellen, die dein Leben bedrohen, zu retten.“
Der Beter des 31. Psalms macht deutlich: Diese Brandung, diese Wellen, die unsere Existenz bedrohen, lassen sich nicht aus der Welt schaffen. Denn auch sie sind Bestandteile unserer Welt, in der wir leben, und wie wir sie erleben. Unser Leben ist und bleibt in ganz unterschiedlicher Weise lebenslang bedroht. Diese Tatsache ist Teil unserer Wirklichkeit, in der wir leben. Wer da etwas anderes behauptet oder gar verspricht, ist ein Scharlatan!
Wenn jedoch diese gefährliche Brandung, diese bedrohlichen Wellen genauso zu meinem Leben gehören wie die Erfahrung von Glückseligkeit und Lachen, dann muss ich lernen, auch sie als Teil meines Lebens anzunehmen, sie eben nicht, wie ich es viel lieber täte, einfach zu leugnen oder gar zu verdrängen, sondern zu fragen: Wie kann ich ihnen bestehen?
Die Antwort der biblischen GlaubenszeugInnen:
„Gott, dir vertraue ich; du wirst mich nicht verloren geben. Meine Zuflucht bist du, deiner Rettung darf ich stets gewiss sein.“
Es stimmt: Schnell geraten wir, wie anfangs festgestellt, in den Sog der Brandung unseres Lebens, werden wir konfrontiert mit gewaltigen Wellen, die sich ganz plötzlich vor uns auftürmen, die drohen, über uns zusammenzuschlagen, uns zu erdrücken oder uns mit sich zu reißen.
Glücklich, wer dann aus ganzem Herzen bitten kann:
Sei du mir, Gott, wie ein starker Fels in der Brandung, auf dem ich Halt finde;
wie die Mauer, hinter der ich Schutz suchen kann.
Denn das bist du für mich: Fester Halt und sicherer Schutz.
Durch deinen Namen – Jahwe – hast du mir versprochen:
„Ich werde immer für dich da sein.“
Glücklich, wer trotz all der Brandung und Wellen, die unser Leben bedrohen, für sich sagen kann:
Egal, was auch immer kommen mag, dessen bin ich mir sicher:
Meine Zeit und alles, was dazugehört, steht, Gott, in deinen Händen,
die mich nie fallen lassen werden.
Deshalb kann ich ruhig sein und ruhig bleiben.
Denn bei dir, Gott, fühle ich mich geborgen.