mit einem Zitat aus Reinhard Meys „Zeugnistag“ + Songvideo
Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn, wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott und hasst seinen Bruder und seine Schwester, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder und seine Schwester nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder und seine Schwester liebe.
1. Johannes 4,16b-21
In diesen wenigen Versen bringt der Verfasser des 1. Johannesbriefes das Entscheidende zum Ausdruck, was zu göttlicher und menschlicher Liebe zu sagen ist. Dabei taucht in ihnen nicht weniger als 13 Mal das Wort „Liebe“ auf. Außerdem vereinigt dieser kurze Bibeltext in sich eine Fülle von bekannten, bei uns häufig zitierten und verwendeten Bibelsprüchen, von denen es sich eigentlich lohnen würde, über jeden einzelnen eine eigene Predigt zu halten. Hier jedoch sollen sie in ihrer Gesamtheit zu uns sprechen.
Einsetzen möchte ich dazu beim Vers 19, also bei dem auch rein geometrisch in der Mitte des Predigttextes stehenden Vers, von dem her sich uns das Verständnis des gesamten Textes erschließt.
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
Der Verfasser des 1. Johannesbriefes fordert uns hier wohl auf zu lieben, aber er tut dies nicht, ohne uns zugleich auch daran zu erinnern, dass all unserem Lieben die Liebe Gottes zu uns vorausgeht; dass unsere Fähigkeit zu Lieben darin begründet ist, dass wir zuvor immer schon von Gott geliebt sind.
„So sehr hat Gott die Welt geliebt, ……“ (Johannes 3 Vers 16)
Die Bibel erinnert uns permanent an diese Liebe Gottes, die seiner gesamten Schöpfung gilt, durch die in uns die Fähigkeit zu lieben grundgelegt, gleichsam eingepflanzt ist.
Weshalb verhält sich Gott so zu seiner Schöpfung, zu uns? Weshalb liebt er überhaupt?
Die Antwort, die der Verfasser des 1. Johannesbriefes auf diese Frage gibt, ist überraschend einfach:
Gott ist Liebe.
Eine auch deshalb für viele von uns überraschende Feststellung, weil sie eher über Gott gelernt haben, dass er einer ist, vor dem man sich fürchten muss, der straft, der uns unser Versagen vorrechnet – schon jetzt und vor allem am Tage des Gerichts. Nein, nicht Angst sollen wir vor ihm haben, sondern wir sollen jederzeit zuversichtlich seiner Liebe trauen, die so sehr zu ihm gehört, dass sie gleichsam mit ihm identifiziert wird.
Dazu noch ein wichtiger Hinweis:
Gott ist Liebe.
Dieser Satz ist nicht umkehrbar. Es kann nicht heißen: Liebe ist Gott. Oder anders gesagt: Die Liebe ist unser Gott. Weil Gott, so zumindest mein Glaube, nicht irgendein Begriff ist wie eben z. B. „Liebe“ oder „Friede“ oder „Schalom“, sondern letztlich immer ein persönliches Gegenüber, zu dem ich beten, dem ich mich und andere anbefehlen, bei dem ich mich geborgen fühlen kann, eben weil ich mich und sie von ihm geliebt weiß.
Deshalb gilt dann auch:
Furcht ist nicht in der Liebe!
Wer sich vor Gott fürchtet, liebt ihn nicht genug! Macht nicht ernst mit dem Evangelium, der „guten Botschaft“ von der Liebe Gottes, die er uns zugesprochen, ja, die er sogar hat Mensch werden lassen in Jesus Christus.
Gott ist Liebe.
Um verständlich zu machen, wie ich das verstehe, möchte ich ein Lied von Reinhard Mey zitieren mit dem Titel „Zeugnistag“:
Darin erzählt er von einem Zeugnistag, an dem er mit einem furchtbar schlechten Zeugnis nach Hause kommt. Nicht einmal eine 4 in Religion hat er geschafft! Er meint, dass nun die Welt zusammen bricht und zeigt seinen Eltern das Zeugnis lieber erst gar nicht. Und als er es unterschrieben wieder abgeben muss, fälscht er deren Unterschrift. Schon am nächsten Morgen kommt der Zauber heraus. Peinlich! Der Rektor holt ihn aus der Klasse und stumm und geknickt steht er nun vor ihm. Natürlich müssen seine Eltern kommen, und der Rektor freut sich sichtlich schon auf die saftige Strafe, die diesen bösen „Urkundenfälscher“ erwartet.
Aber es kommt anders. Sein Vater, erzählt Reinhard Mey, nimmt das Zeugnis in die Hand, sieht es sich an und sagt: „Ja, kein Zweifel. Das ist meine Unterschrift!“ – Und auch die Mutter erklärt: „Ja, das habe ich unterschrieben. Etwas kritzelig zwar, aber ich habe gerade vorher zwei schwere Einkaufstaschen getragen. Komm, Junge, lass uns gehen“, sagt sie dann und sie gehen nach Hause.
Noch viele Jahre, erzählt Reinhard Mey, sei er zur Schule gegangen, und habe dort sicher auch viel Nützliches und Unnützes gelernt. Aber diese Lektion hat er nie wieder vergessen:
Wie gut es tut, zu wissen, daß dir jemand Zuflucht gibt, Ganz gleich, was du auch ausgefressen hast! Und er wünscht allen Kindern Eltern, die aus diesem Holz geschnitzt sind.
Ein wunderbares, ein ergreifendes Lied!
Ein Lied, das mit seiner Thematik bildlich verstehbar macht, wie Gott zu uns steht.
Und ganz im Hinterkopf erinnern wir uns vielleich an das Gleichnis vom „barmherzigen Vater“ (positive Konnotation) , das den meisten leider nur als das Gleichnis vom „verlorenen Sohn“ (negative Konnotation) bekannt ist.
Gott ist Liebe.
„Wie gut es tut, zu wissen, daß dir jemand Zuflucht gibt, Ganz gleich, was du auch ausgefressen hast!“
Das bedeutet „Gott ist Liebe“! Er liebt uns Menschen so sehr, dass er uns niemals fallen lassen wird. Auf ihn können wir uns immer verlassen. Das hat uns Jesus konkret gemacht, indem er im Dienst dieser Liebe Gottes kaputtes Leben wieder heil und Kranke wieder gesund gemacht hat. Indem er geholfen hat, dass einsame Menschen wieder Kontakt fanden und dass jemand, der vor Stress und Sorge nicht mehr wusste, wohin, wieder zur Ruhe kam.
Und nochmals zu Reinhard Mey: Ein wunderbares, ergreifendes Lied! Ein Lied, das mit seiner Thematik andererseits mit seiner Bemerkung, dass er sich ebensolche „liebevollen“ Eltern wünscht, auch überleitet zu dem, was Gott von uns erwartet.
Dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder und seine Schwester liebe.
Dass wir die Erfahrung von Liebe nicht bei uns behalten und wie auf einem Sparkonto für unseren Eigenbedarf aufhäufen, sondern dass wir sie als Gabe, als Begabung verstehen lernen, mit der wir unsere Mitmenschen beschenken und ihr Leben bereichern können. Gott hat uns durch seine Liebe zu uns dazu befähigt, nunmehr auch einander mit Liebe zu begegnen. Dass wir lernen, einander mit Gottes Augen, und das heißt mit liebevollen Augen anzublicken, also mit Augen, die zuallererst das Liebenswerte, das Hilfesuchende, das um Verständnis Bittende im Gegenüber wahr und ernst nehmen und uns erkennen lassen, wo unser Gegenüber unserer Gabe, unserer Begabung, ihn oder sie lieben zu können, konkret bedarf. Das geht nicht automatisch. Das ist ein lebenslanger Lernprozess, in dem wir uns auch immer wieder unser Scheitern werden eingestehen müssen. Denn es ist viel leichter, Menschen abzulehnen, zu kritisieren, zu verurteilen als sie zu lieben.
Es wäre gewiss auch für Gott viel einfacher, uns Menschen abzulehnen, zu kritisieren oder zu verurteilen. Aber er liebt uns! Und durch die Zusage seiner unverbrüchlichen Liebe macht er uns Mut, erfüllt er uns mit Hoffnung, weckt er in uns neue Lebenslust, stärkt er unser Selbstvertrauen. Deshalb:
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
In der Fähigkeit zu lieben dürfen wir „so sein wie Gott“. Denn in der Fähigkeit zu lieben besteht letztlich unsere Gottesebenbildlichkeit, von der es in der Schöpfungsgeschichte heißt: Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.
Oder eben mit den Worten des Predigttextes:
Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.