Denn wir wollen euch, liebe Brüder, nicht verschweigen die Bedrängnis, die uns in der Provinz Asien widerfahren ist, wo wir über die Maßen beschwert waren und über unsere Kraft, so dass wir auch am Leben verzagten und es bei uns selbst für beschlossen hielten, wir müssten sterben. Das geschah aber, damit wir unser Vertrauen nicht auf uns selbst setzten, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt, der uns aus solcher Todesnot errettet hat und erretten wird. Auf ihn hoffen wir, er werde uns auch hinfort erretten. Dazu helft auch ihr durch eure Fürbitte für uns, damit unsertwegen für die Gabe, die uns gegeben ist, durch viele Personen viel Dank dargebracht werde. 2. Kor. 1, 8 – 11
Das sind sehr persönliche Worte! Mit ihnen verschafft uns Paulus einen tiefen Einblick in sein ganz persönliches Erleben. Er hat viel Schweres durchgemacht: Erfahrungen von Anfeindung und Verachtung, Belastungen, die über seine Kräfte gegangen waren. Immer wieder war er am Ende gewesen, hatte er den Tod vor Augen gehabt; die Verzweiflung war übermächtig geworden; hat er gelitten.
Und er steht er auch dazu!
„Ich will Euch nichts verschweigen. Und wenn es auch gegen mich oder, wie andere sagen, gegen meine Verkündigung spräche: Ich bin kein Superapostel. Die Tiefen meines Lebens machen mir zu schaffen. Ich kenne sehr gut das Gefühl von Angst, von Kraftlosigkeit, von Verzweiflung. Ich weiß aus schmerzlichen Erfahrungen, was es bedeutet, zu leiden.“
Wie gut täte es so manchen unter uns, wenn sie wie Paulus einmal frei aussprechen könnten oder dürften, dass es ihnen schlecht geht; auszusprechen, dass und wo ihr Leben von verborgenem Leiden erschwert und gepeinigt wird. Zu lernen, dazu zu stehen und all diese Last im vertrauten Gespräch in Worte fassen zu können, ohne Angst davor haben zu müssen, deshalb Ansehen oder Wertschätzung bei seinen Mitmenschen zu verlieren.
Gewiss, diese Sicherheit, diesen geschützten Raum haben wir nicht bei jedem Menschen, dem wir gerade begegnen; aber wir sollten sie zumindest jedem Menschen, der sich uns anvertrauen will, geben.
Eigenes Leiden nicht zu verschweigen – Paulus ermutigt uns dazu. Und das nicht nur, weil es auf uns befreiend wirken würde, darüber zu reden; sondern weil gerade dieses zu dem Schweren in unserem Leben Stehen uns im Bezug auf unseren Glauben ganz neue Dimensionen zu eröffnen vermag. Denn wer im Leiden seine Ohnmacht, seine Begrenztheit erkennt und diese sich eingestehen muss, wird dadurch erst so richtig verstehen, dass es keinen Sinn für uns macht, sein Vertrauen nur auf sich selbst zu setzen, weil wir notgedrungen daran scheitern müssen.
Auf der anderen Seite sind es gerade diese oft schmerzlichen Grenz-Erfahrungen in unserem Leben, die uns dazu bereit machen, das Angebot Gottes, unser Vertrauen und unsere Hoffnung auf ihn zu setzen, erst in seiner tiefen Bedeutung für uns verstehen zu können.
Dietrich Bonhoeffer sagte einmal dazu:
„Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen, dann wirft man sich Gott ganz in die Arme.“
Oder anders ausgedrückt: Erst wer eingesehen hat, dass es nichts bringt, sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ziehen zu wollen, ist bereit, den Strohhalm des Glaubens zu ergreifen und wird dann über dessen Stärke und Festigkeit erstaunt sein.
Und wer das tut, kann, und das ist das eigentliche Wunder, plötzlich hoffnungsvoll in die Zukunft sehen trotz all der Bedrohung, der wir uns nach wie vor ausgesetzt sehen. Weil wir uns geborgen wissen bei dem, der uns das Leben gibt, verheißt und erhält.
Wie man dahin kommt?
Indem wir unser Leben Gott anvertrauen im Gebet – im Hören auf sein Wort, das uns begegnet in der Verkündigung der Bibel – im Feiern des Abendmahles, in dem er uns Gemeinschaft mit sich und untereinander schenkt – im Gottesdienst, in dem er sich unser annimmt, den gemeinsamen Weg weist und uns schließlich segnet und sendet zum Dienst in der Welt.
Ich bin überzeugt, dass die tiefe Religiosität gerade jener Menschen, die Schweres durchgemacht haben, Frucht ihres aus Leiden und Ohnmacht erwachsenen Gottvertrauens ist, woraus sie ihre Hoffnung schöpfen.
Paulus nennt noch ein Zweites:
Das sich Mitgetragen-Fühlen durch die Fürbitte. Wie sehr hat es ihm in seinen Bedrängnissen geholfen, darum zu wissen, dass andere für ihn gebetet haben.
Fürbitten haben nichts Magisches an sich! Wenn wir für andere beten, dann bringen wir darin zum Ausdruck, dass wir uns ihnen verbunden fühlen und sie gerade auch dort, wo wir uns ohnmächtig und hilflos fühlen, der Liebe und der Fürsorge Gottes anvertrauen. So verstanden ist die Fürbitte ein besonderer Liebesdienst, den wir ruhig noch viel mehr in unser Glaubensleben mit einbeziehen sollten.
Zugleich enthebt uns die Fürbitte nicht der Verantwortung für diese Menschen, für die wir beten. Unsere Fürbitte darf nie zum Ersatz werden für unser Engagement für sie!
Das heißt konkret:
Wir können nicht für die Hungernden beten, ohne auch konkret etwas zu unternehmen gegen den Hunger in der Welt; nicht für die Gefolterten, ohne die Folterer zu denunzieren und zu ächten; nicht für die Unterdrückten, ohne Systeme der Unterdrückung aufzudecken und ihnen dadurch ihre Macht zu nehmen; nicht für die Kranken, ohne uns dafür einzusetzen, dass verändert wird, was Menschen krank macht; nicht für die Einsamen, ohne die Umstände, die zu Vereinsamung führen, zu beseitigen helfen; nicht für die unter Kriegen oder kriegerischen Auseinandersetzungen Leidenden, ohne uns unsererseits der Logik des Krieges und seiner Vorbereitung zu verweigern.
Vielleicht sind wir mit unseren Fürbitten ein wenig vorsichtiger, wenn wir uns diesen Zusammenhang, für jemanden zu beten, aber zugleich auch etwas für ihn/sie zu tun, deutlich machen! Oder dass uns die Verantwortung bewusster wird, die uns aus unseren Fürbitten erwächst!
Auf der anderen Seite tut es auch uns genauso wie dem Paulus gut, darum zu wissen, dass andere für uns beten, wenn wir es brauchen, wenn wir Kraft brauchen oder Gelassenheit oder wenn es uns schlecht geht; dass wir erfahren, dass wir darum wissen, dass andere an uns denken, dass es ihnen nicht gleichgültig ist, wie es uns geht.
Ich denke da an eine Frauengruppe von politischen Ex-Häftlingen, mit der sich meine Frau vor Jahren mit einer Frauendelegation des lutherischen Weltbundes in Salvador zu Zeiten des Bürgerkrieges dort traf, die in den Foltergefängnissen der damaligen Regierung schlimmster Folter ausgesetzt gewesen waren und die auf die Frage „Wie habt Ihr das nur aushalten können“ geantwortet haben: „Wir haben gewusst, dass es überall auf der Welt Menschen gab, die für uns gebetet haben.“
Ernst genommene Fürbitte ist Quelle der Hoffnung für die Menschen, die und deren Situation Gott in der Fürbitte anvertraut wird, ist Zeichen unserer Hoffnung auf das Kommen des Reiches Gottes, das größer ist als alle Reiche dieser Welt, und darauf, dass dieses Reich schon jetzt hineinwirkt in unsere Weltgeschichte und durch nichts an seinem Kommen gehindert werden kann, weil darin Gott am Werke ist,
der die Toten auferweckt, der uns aus solcher Todesnot errettet hat und erretten wird.
Deshalb haben wir trotz all dem, was auch immer dagegen sprechen mag, Hoffnung, Hoffnung für sie, für uns und für unsere Welt!
Der Predigtschluss zitiert ein argentinisches Gemeindelied im Tango-Rhytmus in seiner Übertragung ins Deutsche durch mich:
TENEMOS ESPERANZA * WIR HABEN HOFFNUNG
- Er wurde Teil der Welt, ihrer Geschichte;
er brach die Angst vor Todesnot und Schweigen;
er gab der Schöpfung wieder ihre Ehre;
er wurde Licht in unsern finstern Nächten.
Er kam zur Welt in einem dunklen Stalle;
er säte Liebe unter uns und Leben;
er machte weich die Herzen der Verstockten;
er hob die auf, die keinen Schritt mehr wagten.
Refrain:
Und deshalb werden wir trotz allem hoffen;
und deshalb kämpfen wir mit ganzem Herzen;
und deshalb sehen wir voller Vertrauen
auf das was kommt für uns und unsre Welt.
Und deshalb werden wir trotz allem hoffen;
und deshalb kämpfen wir mit ganzem Herzen;
und deshalb sehen wir voller Vertrauen
auf das, was kommt.
- Er klagte an, die unrecht sich bereichern;
entlarvte offen Heuchelei und Bosheit;
gab neue Würde Kindern und den Frauen;
er hielt sich fern von stolzen Ignoranten;
er sprach von Liebe, selbst für seine Feinde;
hielt daran fest, trotz Folter und Verspottung,
er war bereit, dafür am Kreuz zu sterben,
sein Leben hinzugeben, statt zu hassen.
Refrain:
Und deshalb werden wir trotz allem hoffen;
und deshalb kämpfen wir mit ganzem Herzen;
und deshalb sehen wir voller Vertrauen
auf das was kommt für uns und unsre Welt.
Und deshalb werden wir trotz allem hoffen;
und deshalb kämpfen wir mit ganzem Herzen;
und deshalb sehen wir voller Vertrauen
auf das, was kommt.
- An einem Morgen ließ die Welt Gott sehen,
wie er besiegte Tod, Verzweiflung, Lügen.
Nichts kann den Lauf seiner Geschichte hindern
und nichts das Kommen seines ew’gen Reiches!
Refrain:
Und deshalb werden wir trotz allem hoffen;
und deshalb kämpfen wir mit ganzem Herzen;
und deshalb sehen wir voller Vertrauen
auf das was kommt für uns und unsre Welt.
Und deshalb werden wir trotz allem hoffen;
und deshalb kämpfen wir mit ganzem Herzen;
und deshalb sehen wir voller Vertrauen
auf das, was kommt.