Gedanken zum Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld Lukas 8, 4-8
„Hört, ihr Leut´, und lasst euch sagen: Unsre Glock´ hat vier geschlagen! Vierfach ist das Ackerfeld – Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“
Wer mag diese Worte wohl gehört haben damals, wenn der Nachtwächter in der mittelalterlichen Stadt seine Runden zog und zu jeder Stunde mit solchen Versen die Zeit ansagte?
Vier Uhr nachts – da befand sich kaum noch jemand auf den Straßen, und allenfalls der Bäcker hatte schon wieder mit seiner Arbeit begonnen. Und wer nicht einschlafen konnte, ahnte jetzt, dass es bis zum Morgengrauen nicht mehr lange dauern würde.
„Vierfach ist das Ackerfeld – Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“
Der biblische Hintergrund für diesen Vers des Nachtwächters ist das Gleichnis Jesu vom Sämann aus dem Lukasevangelium:
Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis:
Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen es auf. Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten es. Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht.
Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre! Lukas 8, 4-8
Drei Enttäuschungen muss dieser Sämann im Gleichnis Jesu verkraften:
Die Körner auf dem Weg werden von Vögeln weggepickt; der felsige Boden hat oft nicht genug Muttererde zum Anwachsen; und was unter die Dornen gefallen ist, wird vom Unkraut erstickt.
Eigentlich keine sonderlich spektakulären Ereignisse, die hier eine Kette von Enttäuschungen bilden.
Aber so ist es eben in unserer Welt, dass nicht alles so glatt läuft wie erhofft, dass nicht alle unsere Wünsche in Erfüllung gehen. Gewiss könnte jede und jeder von uns eine ganz persönliche Reihe von Enttäuschungen aufzählen: Spannungen innerhalb der eigenen Familie oder im Bekanntenkreis; Verletzungen durch Menschen, auf die man meinte, sich verlassen zu können; Enttäuschungen, weil wir die von uns erwartete Leistung nicht erbringen konnten; politische oder wirtschaftliche Entwicklungen, die sich nicht verhindern ließen, weil andere sich als mächtiger oder rücksichtsloser erwiesen; Ideale, die im wirklichen Leben keinen Platz mehr fanden; Hoffnungen, die unerfüllt blieben.
Vielleicht kann es uns da ein wenig trösten, dass nach Jesu Worten auch dem Reich Gottes Enttäuschungen nicht erspart bleiben. Gottes Wort hat es schwer, sich als machtvoll zu erweisen gegen all jene anderen Mächte und Gewalten, die in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen in Familie, Schule Beruf, in der Politik und der Wirtschaft, die zwischen Volksgruppen und ganzen Völkern herrschen oder uns beherrschen.
Worum geht es eigentlich bei diesem Gleichnis?
Es geht um einen Sämann, der mit vollen Händen seine Samenkörner verteilt, so wie das jeder Sämann zurzeit Jesu üblicherweise und mit gutem Grund tat. Geradezu verschwenderisch, würden wir vielleicht sagen, wirft er diese Samenkörner aus. Er tut dies, obwohl er schon von vorne herein weiß, dass ein Großteil dieser Samenkörner ihm keine Früchte bringen wird. Ein Teil davon wird zertreten oder von den Vögeln gefressen, ein anderer wird auf dem Fels verdorren und ein dritter wird vom Unkraut erstickt werden. Nur ein geringer Teil wird auf fruchtbaren Boden fallen und wachsen, dann aber hundertfach Frucht bringen.
Verstehen werden wir den Sinn dieses Gleichnisses erst, wenn wir uns bewusst machen, dass die Felder damals in Israel meist ganz anders aussahen als unsere Felder heute. Vermutlich hätten wir Menschen von heute sie nicht einmal als solche erkannt. Zwischen Steinen, Geröll und Felsen befanden sich erdige Stellen, ausgetrocknet, die erst dann wahrnehmbar wurden, wenn sie durch den Regen feucht geworden waren. Aber zur Zeit der Aussaat sah alles fast gleich aus. So musste der Sämann, um überhaupt eine Chance auf eine Ernte zu haben, sein Korn gleichsam verschwenderisch über alles auswerfen, um dann erst viel später feststellen zu können, wo tatsächlich die Muttererde ausgereicht hatte, um Ähren heranreifen zu lassen und wo kein Unkraut sie am Wachsen hindert. Um ernten zu können, musste er etwas wagen, musste er das Risiko eines teilweisen Misserfolges eingehen.
Und das Faszinierende daran war: Oft konnte er gerade dort ernten, wo er es nie erwartet hätte; wo er also, wenn er nicht eben verschwenderisch ausgesät hätte, gar nichts bekommen hätte.
Das Gleichnis vom Sämann ist eine Botschaft gegen Mutlosigkeit und Verzweiflung.
Jesu Rat: Macht´s doch wie dieser Sämann!
Lasst Euch nicht von vorne herein entmutigen durch das Wissen darum, dass euch manches sicherlich nicht gelingen oder gar misslingen wird. Lasst euch auch nicht entmutigen durch die Erfahrungen von Enttäuschungen und Versagen. Denn es wird immer auch Samen geben, die aufgehen und die dann auch hundertfache Frucht bringen, manches Mal vielleicht sogar gerade dort, wo ihr es am wenigsten erwartet. Genauso, wie manche positive Entwicklung in eurem Leben sich eben auch als Scheinfeuer entpuppen kann, das nur kurz und kräftig aufflackert, dann aber genauso schnell wieder verlöscht.
Erst im Nachhinein werden wir oft erkennen können, wo sich Momente in unserem Leben tatsächlich als fruchtbar erwiesen haben, genauso wie die fruchtlosen. Ohne jedoch immer uns neu zu wagen, werden wir die fruchtbaren Stellen unseres Lebens kaum finden können.
Drei Enttäuschungen musste, so sagte ich anfangs, dieser Sämann im Gleichnis Jesu verkraften, um dann auch ernten zu können:
„Vierfach ist das Ackerfeld – Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“
Das Vierte, so haben wir gerade gesehen, kann also nur finden, wer auch bereit ist dazu, mit den drei anderen – den möglichen Enttäuschungen – zu rechnen und zu leben. Es gibt kein von Enttäuschung und Versagen freies Leben, aber wer in diesem Bewusstsein sein Leben annimmt und führt, wird, so die Verheißung Jesu, nicht ohne Frucht bleiben.
Weshalb ich das so sicher behaupten kann?
Weil, und das ist ja letztlich die Botschaft Jesu, weil Gott will, dass unser Leben gelingt und weil er uns auf ganz unterschiedlicher Weise, gerade auch durch sein Wort dabei hilft in dem Sinne, wie Bonhoeffer es so treffend formuliert hat:
Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns an jedem Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
„Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“
Traust du Gott das zu? Willst du auf seine Zusage hin dein Leben immer neu, und das heißt eben dann auch allen Enttäuschungen und allem Versagen zum Trotz wagen?
Um zum Schluss noch einmal den Nachtwächter mit seiner knappen, aber treffenden Zusammenfassung des Sämann-Gleichnisses zu Wort kommen zu lassen: Erinnert Ihr Euch daran, mit welchem Refrain er alle seine Stundengesänge gleich bleibend abschließt?
Mit den Worten:
„Menschenwachen kann nichts nützen. Gott muss wachen. Gott wird schützen!“
Und er tut es auch! Jeden Tag, jede Stunde neu!
Darauf können wir uns verlassen! Gott sei Dank!