Wie könnte man wohl am leichtesten erklären, was ein Passivmitglied ist, z.B. in einem Gesangverein?
Ich würde sagen: Das ist jemand, der dazugehört, nicht weil er mitsingt, sondern weil er mitbezahlt. Oder vornehmer ausgedrückt: Passivmitglieder sind die Gönner des Vereins.
Ganz ohne Zweifel: Jeder Verein braucht solche Gönner, die durch ihre Beiträge vieles, was verwirklicht werden soll, erst möglich machen. Gerade deshalb wird bei den meisten Vereinen die Werbung von Passivmitgliedern besonders ernst genommen.
Wissen Sie auch, welcher „Verein“ in unserer Gesellschaft wohl über die meisten Passivmitglieder verfügt?
Die Kirche!
Nichtwahr, da ist man drin, bevor man überhaupt denken kann. Und bleibt oft auch drin, obwohl man mit der Kirche eigentlich gar nichts am Hut hat und wird so zum Passivmitglied, das halt nicht mitmacht, aber wenigstens mitbezahlt.
Bei allem, was dabei mitschwingt, seinen zwei Dinge deutlich und selbstkritisch angemerkt:
- Nach der Botschaft des Neuen Testamentes kann es in der Kirche nur Aktivmitglieder geben.
- Ohne diese angesprochenen Passivmitglieder könnte die Kirche einen Großteil der von ihr in unserer Gesellschaft übernommenen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen, weil sie diese nicht mehr finanzieren könnte.
In dieser Spannung leben wir hier in der Bundesrepublik als Volkskirche, ganz im Gegensatz z.B. zu den vielen Freikirchen bei uns, die sich weniger nach außen, also auf ihre Verantwortung für die Gesellschaft, in der wir leben, orientieren und sich so viel mehr auf sich selbst konzentrieren können.
Zugang zu dieser Volkskirche ist nach wie vor die Taufe, bei uns vor allem die Säuglingstaufe. Auch wenn mittlerweile immer mehr Eltern sich dazu entscheiden, ihr Kind nicht mehr taufen zu lassen, weil sie keine Bindung zur Kirche mehr verspüren, wird noch immer ein Großteil der Kinder getauft. Darunter gibt es gewiss eine große Zahl von Eltern, die dies sehr bewusst tun, aber eben auch solche, nicht viel von dem Ganzen halten, es jedoch tun, weil es halt so dazugehört oder weil es auf jeden Fall nicht schaden kann – der klassische Ausgangspunkt übrigens für eine Erziehung zur Passivmitgliedschaft. Nur, das ist ja wohl nicht ganz der Sinn der Sache.
Was aber dann?
Worin besteht denn diese „wirkliche Mitgliedschaft“, auf welche die Taufe abzielt?
Hören wir dazu Worte aus dem Matthäus-Evangelium, wie sie uns aus der Taufliturgie wohl gut bekannt sind:
Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach:
Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum geht hin und macht zu Jüngern alle Völker: Tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Mt 28,18-20
Matthäi am Letzten – mit diesen Worten endet das Matthäus-Evangelium, mit dem Missionsbefehl, mit dem der Auferstandene seine Jünger und diejenigen, die ihnen folgen werden, in Bewegung setzt, eingeleitet mit den Worten:
Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
Man könnte fast sagen: Um diesen einen Satz zu belegen, hat der Verfasser des Matthäus-Evangeliums sein gesamtes Evangelium geschrieben: Der in Bethlehem geborene, in Galiläa wirkende, in Jerusalem an Karfreitag gekreuzigte, an Ostern auferstandene Jesus aus Nazareth ist, so will er zeigen, Herr über die diesseitige und die jenseitige Welt. Und dies nicht deshalb, weil er sich diese Herrschaft gegen andere erkämpft hätte, sondern weil Gott sie ihm gegeben, weil Gott ihn zu ihr bevollmächtigt hat.
Durch unsere Taufe gehören wir zu ihm, dem Gott über alle und alles Vollmacht gegeben hat und damit zu Gott selbst. Durch unsere Taufe gehören wir schon jetzt hinein in Gottes Reich. Und weil wir unter Gottes Herrschaftsanspruch stehen, verlieren für uns die Herrschaftsansprüche dieser Welt an uns ihre Macht. Niemand hat das Recht, über uns zu herrschen, weder in der Familie noch in der Schule noch im Beruf. Weil wir nach Gottes Willen freie Menschen sind, weil nach seinem Willen „die Würde des Menschen unantastbar ist“.
Unverlierbar gehören wir zu ihm. Das bringen wir durch die Taufe zum Ausdruck.
Was das für uns bedeutet, hat der von den Nazis im KZ ermordete Pfarrer Dietrich Bonhoeffer einmal so ausgedrückt:
„Wenn Gott uns mitten in den Bedrohungen des Krieges den Ruf des Evangeliums zu seinem Reich in der Taufe ergehen läßt, dann wird es merkwürdig klar, was dieses Reich ist und will. Ein Reich, das stärker ist als Krieg und Gefahr, ein Reich der Macht und der Gewalt, ein Reich, das für die einen ewiger Schrecken und Gericht, für die andern ewige Freude und Gerechtigkeit ist, nicht ein Reich des Herzens, sondern über die Erde und alle Welt, nicht vergänglich, sondern ewig, ein Reich, das sich selbst seinen Weg schafft und sich Menschen ruft, die ihm den Weg bereiten, ein Reich, für das sich der Einsatz des Lebens lohnt.“
Ein Reich, in das wir hineingetauft werden und in dem es nicht möglich ist, passiv zu bleiben.
Dabei macht die Taufe, gerade die Taufe eines Säuglings deutlich, dass diese Hineinnahme nicht unser Verdienst ist oder auf unserer Leistung beruht, sondern dass Gott uns diese Zugehörigkeit schenkt.
Nur, damit wir dieses Geschenk ergreifen, damit wir seine Bedeutung für uns wahrnehmen können, bedürfen wir auch des anderen:
Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.
Ein Täufling muß bei uns und durch uns die Chance bekommen, diese Gemeinschaft im Glauben zu erfahren und kennenzulernen, um so langsam in sie hineinzuwachsen. Das ist die vorrangige Aufgabe von Eltern und Paten, ja von uns allen als Gemeinschaft der Getauften: Nicht nur zu taufen oder taufen zu lassen, sondern durch unser eigenes Lebens- und Glaubenszeugnis für unsere Täuflinge zu lebendigen Wegweisern zu werden, zu Zeugen dafür, dass die Botschaft Jesu Christi unserem Leben Sinn und Ziel zu geben vermag, ja dass es sich lohnt, sich dafür einzusetzen, diesem Reich Gottes schon jetzt und hier den Weg zu bereiten, um so unsere Welt ein Stück weit menschlicher, gütiger, liebevoller, also letztlich gottgewollter zu gestalten.
Dabei sollten wir eines nicht vergessen: Dies geht nicht, ohne dass auch wir selbst uns immer wieder neu an der Botschaft Jesu ausrichten, uns von ihr orientieren lassen. Glauben ist ein lebenslanger Prozeß, ein dauerndes Auf und Ab, in dem wir der gegenseitigen Ermutigung und Vergewisserung täglich neu bedürfen.
Aber ist das nicht letztlich doch ein ungeheuer hoher Anspruch an uns? Werden wir ihm überhaupt je gerecht werden können als Täuflinge, KonfirmanInnen, Eltern, Paten, als in die Nachfolge Jesu gerufene Gemeinde?
Wie tröstlich, daß der Auferstandene den Missionsbefehl mit einer Zusage schließt:
Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Er wird uns nicht alleine lassen, sondern uns begleiten und uns in seiner Weise helfen und uns Mut machen dazu, unser Leben mit all dem, was dazugehört, anzunehmen, zu ertragen und in seinem Sinne zu gestalten.
Nur, stimmt das denn wirklich mit unseren Erfahrungen überein?
Ich bin bei euch alle Tage.
Ich denke dabei an jene mittlerweile bekannt gewordene Geschichte, wie ein Mensch im Traum gemeinsam mit Gott auf sein Leben zurückschaut. Er sieht sein Leben als Fußspur im Sand. Und wie er genauer hinschaut, stellt er fest, daß da zwei Fußspuren vorhanden sind. „Was bedeutet die zweite Spur?“, fragt er Gott. Dieser antwortet: „Da habe ich dich begleitet.“ „Aber,“ und so fährt der Mensch fort, „in den Zeiten, in denen es mir schlecht ging, sehe ich nur eine Fußspur. Wo warst du denn da, Gott, als ich dich am nötigsten brauchte?“ „Da“, sagte Gott, „da habe ich dich getragen.“
Oft erst im Rückblick wird für uns erkennbar, dass Gott, dass Jesus Christus bei uns nicht passiv geblieben ist und bleibt, und ich wage es zu behaupten, auch nicht bei den Passivmitgliedern.
Ihm zu vertrauen, mit seiner liebevollen Gegenwart in unserem Leben zu rechnen, ist der erste Schritt zur aktiven Mitgliedschaft, damit wir nicht nur mitbezahlen, sondern auch bewusst mitmachen und so erfahren, wie bereichernd dieser Glaube für uns und für unser Leben sein kann.