Predigt vom 29.6.2003 (2. Sonntag nach Trinitatis 2003) unmittelbar nach dem Erscheinen eines großen Artikels in der Badischen Zeitung zum Segnungsbeschluss des Ältestenkreises der Emmendinger Stadtkirchengemeinde (siehe dazu auch den entsprechenden Text unter „Texte“).
Liebe Gemeinde!
Segen für Homosexuelle? – Ein Emmendinger Pfarrer in Schwierigkeiten
Sicherlich waren viele von Ihnen überrascht oder erschrocken, als sie am vergangenen Freitag die Badische Zeitung aufschlugen – ich auch, obwohl ich nach zwei Telefonanrufen durch Herrn Kiefer von der BZ und Herrn Witzenbacher, den Pressesprecher unserer Landeskirche, mit einer Veröffentlichung eines Beschlusses rechnen musste, den unser Ältestenkreis bereits am 13. Mai einstimmig verabschiedet hatte. Um was ging es da?
Schon seit vielen Jahren gibt es eine Diskussion darüber, ob eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare möglich wäre. Diese Diskussion wurde sehr kontrovers geführt und bekam seit 1. August 2001 eine ganz neue Qualität durch das so genannte Lebenspartnerschaftsgesetz, wodurch gleichgeschlechtliche Partnerschaften eingetragen und damit gesetzlich verbindlich werden können. Seitdem stehen wir als ChristInnen vor der Frage, wie wir als Gemeinde und als Kirche verantwortlich und im Sinne der Botschaft Jesu Christi damit umgehen sollen. Konkret: Wie verhalten wir uns, wenn gleichgeschlechtliche Paare in der Konsequenz ihres christlichen Glaubens uns um den Segen Gottes für ihren gemeinsamen Lebensweg bitten?
Sollen wir sie wegschicken oder heißen wir sie willkommen bei uns?
Nachdem wir im Ältestenkreis diese Fragen im letzten Jahr auch aufgrund der vielen Neuerungen, die die Neustrukturierung der Stadtkirchengemeinde mit sich brachte, nur gelegentlich und mehr in Einzelgesprächen streiften, beschlossen wir, im März dieses Jahres einen Informations- und Gesprächsabend zu diesem Thema zu veranstalten, der nur schwach besucht war. Einer der Besucher jedoch war einer unserer Kirchenältesten, der daraufhin beantragte, dieses Thema auf die Tagesordnung für die Ältestensitzung im Mai zu nehmen, weil, so seine Begründung, klar sein muss, wie wir in der Stadtkirchengemeinde dazu stehen, bevor eine erste Anfrage erfolgt.
Vor dieser Sitzung jedoch fasste die Landessynode den Beschluss, geistliche Begleitung für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften ausschließlich in der Seelsorge zuzulassen. Ich habe diesen Beschluss für Sie im Eingang der Kirche ausgelegt.
Er beginnt: „Die Landessynode begrüßt alle Bemühungen, die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften zu beseitigen. Die Schaffung rechtlicher Regelungen für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften hilft den in solchen Partnerschaften verbundenen Menschen dabei, in stabilen Beziehungen zu leben. Wo dies gelingt, sind solche Regelungen ein Beitrag zur Stärkung eines von gegenseitiger Verantwortung und Solidarität bestimmten Zusammenlebens.“
Das heißt, die Landessynode erkennt diese eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften als verbindliche Beziehungen zwischen zwei Menschen an, die sich lieb haben und ihr künftiges Leben miteinander in Verantwortung teilen wollen. Wenn diese beiden Menschen jedoch für diesen gemeinsamen Lebensweg Gottes Begleitung durch seinen Segen erbitten, gilt:
„Die Landessynode befürwortet die geistliche Begleitung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Diese soll ausschließlich in der Seelsorge stattfinden. Die Landessynode hat das Vertrauen, dass die in der Seelsorge Tätigen den Raum der Seelsorge verantwortlich gestalten.“
Klartext im Kommentar: Die öffentliche Segnung – übrigens jede damit begründete nicht öffentliche Segnung wäre schon eine Diskriminierung per se – ist verboten. Und genau damit werden diese Lebenspartnerschaften diskriminiert, selbst wenn der erste Satz des Beschlusses das Gegenteil suggeriert.
Abgesehen davon, und das ist in unserer Landeskirche bis eben auf gleichgeschlechtliche Beziehungen einmalig, wird den Gemeinden, den Ältestenkreisen, den PfarrerInnen befohlen, Menschen, die darum bitten, weil ihnen etwas daran liegt, den Segen Gottes zu verweigern. Ein ungeheuerlicher Vorgang, mag man zur Homosexualität stehen, wie man will.
Noch eines dazu: Diesen Beschluss hat die Synode gefasst, ohne auch nur im Geringsten die Ältestenkreise bzw. die PfarrerInnen, in deren gemeinsamer Kompetenz seelsorgliche Entscheidungen vor Ort gerade auch aufgrund von Sondersituationen liegt, dazu zu Wort kommen zu lassen.
In einer Trauagende unserer Landeskirche für Eheschließungen in besonderen Fällen heißt es an Stelle der sonst üblichen Traufragen:
„Gottes Segen gilt allen Menschen, die danach verlangen, weil sie Halt und Hilfe für ihre Liebe brauchen. Gott stärke Ihren (Anmerkung: damit wird das Paar angesprochen!) Willen, einander zu achten und beieinander zu bleiben Ihr Leben lang.“
Weshalb sollen diese Zusagen nicht auch für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften ihre Gültigkeit haben?
Vorsicht, mögen Sie vielleicht sagen, hier geht es aber doch um eine Ehe. Auch dazu haben wir uns im Ältestenkreis eingehend Gedanken gemacht und klar festgestellt: Die öffentliche Diskussion krankt an der Fähigkeit oder vielleicht auch an der Bereitschaft, sachlich zu differenzieren:
Eine verbindliche gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft ist keine Ehe und eine Segnung einer derartigen Lebenspartnerschaft ist keine Trauung.
Dies müssen übrigens auch viele Schwule und Lesben erst lernen. Die Bezeichnung „Homo-Ehe“ ist deshalb nicht nur falsch, sondern auch zutiefst irreführend.
Auf diese sachliche Differenzierung hat übrigens auch der Gesetzgeber in aller Deutlichkeit hingewiesen. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts führte in der Begründung zur Ablehnung der Klage der Landesregierungen von Bayern, Sachsen und Thüringen gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz u.a. aus: „Die Einführung des Rechtsinstituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare verletzt Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht. Der besondere Schutz der Ehe in Art. 6 Abs 1 GG hindert den Gesetzgeber nicht, für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder nahe kommen. Dem Institut der Ehe drohen keine Einbußen durch ein Institut, das sich an Personen wendet, die miteinander keine Ehe eingehen können“.
Wenn doch auch nur in der Kirche mit dieser Klarheit und Sachlichkeit argumentiert werden könnte. Stattdessen finden wir in ihr viel gewiss verständliche, aber der Sache nur schadende Emotionalität, viel zu viel Angst und viel zu wenig Gottvertrauen, dass „er`s wohl machen wird“.
Wenn die Segnung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften nach Meinung der EKD wie auch der Landessynode – dies war übrigens einer der Hauptgründe in der Argumentation gegen eine Segnung, – nur deshalb nicht zugelassen werden soll, weil irgendwelche unbestimmten Menschen sie mit dem Leitbild der Ehe und der kirchlichen Trauung verwechseln könnten, dann gibt es nur eines: Dass wir schleunigst selbst als Kirche mit aller Klarheit dafür zu sorgen, dass es nicht zu solchen Verwechslungen kommen kann. Stattdessen Verbote auszusprechen, ist der falsche Weg.
Der Ältestenkreis der Stadtkirchengemeinde hat dann in seiner Sitzung am 13. Mai beschlossen, sich eindeutig gegen jede Diskriminierung gleichgeschlechtlich Lebender und Liebender auszusprechen und in der Feststellung, dass er sich der Verantwortung für die letzte seelsorgliche Kompetenz und Konsequenz kirchlichen Handelns vor Ort zu stellen bereit ist, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften gemäß dem Synodenbeschluss seelsorglich und damit eben auch segnend zu begleiten, wenn diese darum bitten. Denn was wäre das für eine Seelsorge, die von vorne herein Segen fein säuberlich ausklammert. Auch dieser Beschluss liegt aus.
Vielleicht haben wir damit kirchenrechtlich gegen geltende Regeln verstoßen. Vielleicht war dies nötig um der Sache, ja noch mehr um der Menschen willen, die es vielfach nicht leicht haben mit ihrem So-Sein, auch wenn „das gut so ist“, und die darauf hoffen, von uns als ihrer Gemeinde angenommen und von Gott für ihren gemeinsamen Lebensweg gesegnet zu sein. Wir haben nicht gefordert, dass alle Gemeinden sich genauso verhalten müssen wie wir. Vielleicht aber wäre genau dies die adäquate Lösung, dass Ältestenkreise gemeinsam mit ihren PfarrerInnen überlegen und dann auch entscheiden, wie bei ihnen vor Ort die geistliche Begleitung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften aussehen soll, und eben nicht eine Synode, die ohne Kenntnis des jeweiligen Kontextes entschließen muss.
Noch ein Letztes: Immer wieder werde ich gefragt: „Weshalb solch eine Aufregung für 4% der Bevölkerung, die lesbisch oder schwul sind, von denen ja nur wiederum lesiglich 0,3% sich segnen lassen will? Ist es das alles wert?“
Ja, das ist es. Weil sich gerade an unserem Verhalten den Minderheiten, den Schwachen, den Marginalisierten gegenüber die Glaubwürdigkeit unseres Christusglaubens entscheidet.
Nachsatz von 2020: Die in der Predigt gewählte Argumentationsweise entsprach dem den damaligen Überlegungen, durch die Differenzierung von gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaft und Ehe bzw. Segnung und Trauung die Gegner der Segnung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften davon zu überzeugen, dass mit deren kirchlichem Vollzug ihre Ehevorstellungen nicht verletzt bzw. angetastet werden. Zum Glück hat sich in den letzten Jahren die politische, juristische und theologische Argumentation hier entscheidend weiterentwickelt. Davon konnten wir damals jedoch (noch) nicht ausgehen.