Gedanken zu Weihnachten
Für uns ist Weihnachten neben Ostern und Pfingsten wohl das wichtigste und zugleich auch das selbst von Nichtchristen am meisten gefeierte Hauptfest der Christenheit. Aber seit wann feiert die Christenheit überhaupt Weihnachten? Zugegeben, diese Frage klingt im ersten Moment ziemlich unwichtig, aber sie ermöglicht uns eine unerwartete Wahrnehmung und eine sich daraus ergebende wichtige Erkenntnis im Bezug auf Weihnachten.
Zunächst die Wahrnehmung:
Bis ins 3. nachchristliche Jahrhundert kannte die frühe Christenheit weder ein Fest für die Geburt Jesu, noch machte sie sich Gedanken über den möglichen Geburtstermin, weil dies für sie offensichtlich unwichtig war. Viel wichtiger war für sie die Weitergabe der Verkündigung Jesu, seine Kreuzigung an Karfreitag und seine Auferstehung an Ostern und deren Bedeutung für uns Menschen.
Dasselbe gilt übrigens auch für die Verkündigung des Apostels Paulus wie auch für das älteste Evangelium, das Markus-Evangelium. Beide , Paulus und der Verfasser des Markus-Evangeliums, kennen noch keine Geburts- und Kindheitsgeschichte Jesu wie das erst später entstandene Lukas- oder Matthäus-Evangelium.
Und die daraus resultierende Erkenntnis:
Nicht seine Geburt, also nicht Weihnachten, war und ist das eigentlich Wichtige an Jesus, sondern sein Leben, sein Wirken, seine Botschaft, womit er unsere Welt, unser Denken, unser Zusammenleben verändert hat und noch immer neu zu verändern vermag. Ohne diese Verkündigung, ohne die Entstehung der auf seiner Botschaft aufbauenden, ihm nachfolgenden christlichen Kirche würde heute gewiss niemand Weihnachten feiern, geschweige denn überhaupt darüber reden.
Im Zentrum seiner Verkündigung, und das passt ja sehr gut zu Weihnachten, dem, wie man es immer wieder bei uns hören kann, Fest der Liebe, steht ein einziges Wort: Liebe. Dabei ging es Jesus zuallererst um die unendlich große Liebe, mit der Gott uns Menschen von Anfang an begegnet, dieser Liebe, mit der er uns dann aber zugleich auch dazu befähigen will, ihn, Gott, aber auch uns selbst und unsere Mitmenschen zu lieben.
Jesus war es damals wichtig, den Menschen Mut zu machen zum Leben durch diese tröstliche Zusage: Gott hat Dich lieb! Und er schaut Dich nicht, wie man es Dir oft genug gesagt hat, defizitorientiert an, obwohl er bei Dir gewiss genügend Defizite wahrnehmen könnte, sondern sein Blick für Dich ist ein von Liebe geprägter, ein liebevoller Blick, ein Blick voller Verständnis auch für Deine Unfähigkeiten und Fehler. Gott will Dich nicht klein machen, sondern im Gegenteil, er will, dass Du Dir etwas zutraust, dass Du Dein Leben, das er Dir anvertraut hat, wagst, allen Widrigkeiten zum Trotz. Sein liebevoller Blick ist es, der uns Menschen aufbaut und stark macht. Das ist das Eine der Botschaft Jesu, sein Zuspruch.
Und das Andere?
Sein Anspruch: Lerne von Gott, Dich selbst und Deine Mitmenschen mit solchen liebevollen Augen anzublicken und nun eben nicht defizitorientiert. Wir alle haben unsere Fehler und Schwächen. Gewiss! Nur, weshalb sollten wir ungnädiger mit uns selbst und vor allem miteinander umgehen, als Gott dies tut?
Wir merken es doch selbst, wie gut es uns tut, wenn andere zuerst auf das Positive bei uns schauen und eben nicht gleich oder vielleicht sogar nur auf das Negative. Dass dieser liebevolle Blick vielmehr Kräfte bei uns frei setzt und Kreativität, dass er in uns Selbstvertrauen und Lebensfreude schafft, dass er uns aufbaut. Während, und das haben wir alle auch schon oft genug erlebt, jener oft erlebte defizitorientierte Blick bei uns genau das Gegenteil bewirkt.
Von Gott diesen liebevollen Blick lernen zu wollen, nicht als Methode, sondern als eine innere Haltung, also als einen Blick, der von Herzen kommt und allen, die mir begegnen, gilt, diese innere Einstellung ist mit dem an Weihnachten Geborenen auf die Welt gekommen und damit zugleich auch fester Bestandteil von ihr geworden. Wie das dann in Realität aussehen kann?
Ich denke da an einen meiner Drittklässler, den ich vor Jahren im Religionsunterricht hatte. Seine Klassenlehrerin hatte mich schon vorgewarnt: Der wird nie fertig mit dem Abschreiben der Tafelanschrift! Ich solle ihn frühzeitig dazu auffordern. Das tat ich denn auch mit dem liebevoll gemeinten Hinweis, dass er ja sonst nicht fertig werde, weil er bekanntlich langsam schreibe. Und tatsächlich: Immer wieder wurde er trotz meiner frühzeitigen Hinweise nicht fertig. Als ich einmal meiner Frau, von Beruf Heilpädagogin, davon erzählte, riet sie mir, ihm doch einfach einmal etwas Positives zu sagen. Auf die Frage, was denn zum Beispiel, entgegnete sie mir: „Wenn Du ihm wirklich etwas Positives sagen willst, dann wirst Du das schon merken. Du musst es bei ihm nur sehen wollen.“ In einer der nächsten Unterrichtsstunden lief ich hinter den Kindern durch, um in ihre Hefte zu schauen, während sie etwas von der Tafel abschrieben. So landete ich auch hinter meinem Langsamschreiber. Mir fiel auf, dass er wirklich sehr langsam schrieb, aber auch, worauf ich bisher nie groß geachtet hatte, sehr schön. „Du schreibst sehr schön,“ sagte ich anerkennend. Und ab diesem Moment war er fast immer rechtzeitig fertig, sogar ohne dass ich ihn besonders darauf aufmerksam machen musste.
Es gibt so viele Situationen in unserem Alltag, in denen wir heilsam, heilvoll füreinander sein können, wenn wir es schaffen, diesem liebevollen Blick in uns drinnen den Vorrang zu lassen, selbst wenn uns eigentlich ganz anders zu Mute ist. Aber auf jeden Fall, wir werden das nur schaffen, wenn wir das auch wirklich wollen, wenn wir in uns drinnen der Liebe genügend Raum geben.
Weihnachten, das Fest der Liebe, der Liebe, die Gott uns schenkt, täglich neu.
Weihnachten, das Fest der Liebe, der Liebe, mit der wir uns eben nicht nur ausnahmsweise zu Weihnachten beschenken, wenn unser Blick für uns selbst und füreinander auch sonst das Jahr über liebevoll, von Herzen kommend liebevoll bleibt.