Leben und das Leben gestalten mit mehr Selbstvertrauen
Das Fest war voll im Gange; ganz Jerusalem war auf den Beinen. Die Menschen saßen beieinander, erzählten, aßen und tranken, lachten und tanzten; die Stimmung war ausgelassen – ein echt gelungenes Fest. Plötzlich erhob sich einer. Er wolle ein Lied singen. Warum nicht? Jede Unterbrechung war willkommen! Schnell wurde für Ruhe gesorgt. Alle lauschten gespannt. Dann kündigte er sein Thema an: „Der Weinberg meines Freundes“. Die einen grinsten, andere tuscheln erwartungsvoll, denn der Weinberg, das wußten alle, war ein Synonym für die „Geliebte“. Also ein Liebeslied! Wen interessiert das nicht!
Dann fing er an: Jesaja 5,1-7 (Textfassung: Gute Nachricht Bibel)
Hört das Lied meines Freundes von seinem Weinberg:
Auf fruchtbarem Hügel, da liegt ein Stück Land,
dort hackt ich den Boden mit eigener Hand,
ich mühte mich ab und las Felsbrocken auf,
baute Wachturm und Kelter, setzte Reben darauf.
Und süße Trauben erhofft ich zu Recht,
doch was dann im Herbst wuchs, war sauer und schlecht.
Es klappte also nicht so richtig mit dem „Weinberg“! Manche besonders Phantasievolle lachten sich hämisch ins Fäustchen und dachten sich ihren Teil.
Die Spannung stieg. Wie mag es nun wohl weitergehen?
Jerusalems Bürger, ihr Leute von Juda!
Was sagt ihr zum Weinberg, was tätet denn ihr da?
Die Trauben sind sauer – entscheidet doch ihr:
War die Pflege zu schlecht, liegt die Schuld gar bei mir?
Klug gemacht! Der Sänger steigerte ihre Aufmerksamkeit, indem er die Leute dazu aufrief, Schiedsrichter zu sein zwischen dem Freund und seinem „Weinberg“. Entscheidet ihr! Wer ist schuld, wer hat da versagt?
Die Antwort lag auf der Hand: Natürlich der „Weinberg“!
Aber wie sollte sich der Freund nun denn verhalten?
Der Sänger fuhr fort:
Ich sage euch, Leute, das tue ich jetzt:
Weg reiß ich die Hecke, als Schutz einst gesetzt;
Zum Weiden sollen Schafe und Ochsen hinein!
Und die Mauer ringsum, die reiße ich ein.
Zertrampelnden Füßen geb ich ihn preis.
Schlecht lohnte mein Weinberg mir Arbeit und Schweiß.
Ich will nicht mehr hacken; das Unkraut soll sprießen!
Der Himmel soll ihm den Regen verschließen!
Alle Bemühungen waren umsonst gewesen. Dann lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
„Das würde ich auch tun. Geschieht ihm recht!“, mögen die meisten Zuhörenden gedacht haben. „Bei solch einem „Weinberg“ kommt man ja niemals auf keinen grünen Zweig, geschweige denn zu den erwarteten süßen Trauben.“
Aber das Lied war ja noch nicht zu Ende. Normalerweise kam jetzt die Pointe, so nach dem Motto: „Und die Moral von der Geschicht´…..“ Erwartungsvoll blickten sie auf den Sänger. Und der sang tatsächlich noch einmal, diesmal mit einer etwas lauteren Stimme:
Der Weinberg des Herrn seid ihr Israeliten,
sein Lieblingsgarten, Juda, seid ihr!
Enttäuscht habt ihr ihn, der sich voll Liebe an euch band.
Er hoffte auf Rechtsspruch – und erntete Rechtsbruch.
Statt Gerechtigkeit kam von euch nur Schlechtigkeit!
Jetzt hatte er die Katze aus dem Sack gelassen, der Sänger Jesaja, seines Zeichens Prophet Gottes. Das war kein lockeres Liebesliedchen mehr, sondern eine knallharte Zurechtweisung Gottes für sein Volk. „Ihr seid dieser Weinberg, der nur Säuerlinge hervorgebracht hat. Ihr feiert und seht weder die Hungrigen noch nehmt ihr Rücksicht auf die Trauernden. Die Armen werden bei euch immer ärmer; die Kleinen sperrt ihr ein und die Großen laßt ihr laufen. Wucher und Betrug stehen bei euch hoch im Kurs, Korruption und Bestechung sind bei euch an der Tagesordnung. Das Urteil über euch habt ihr vorhin selbst gesprochen, daß man solch einen wertlosen Weinberg, bei dem Hopfen und Malz verloren ist, nur abreißen und höchstens noch als Weideland dienen lassen kann!
Und genau das wird Gott mit euch tun!“
Ein Skandal! Die Stimmung war total im Eimer. Was hatte sich dieser superfromme Angeber bloß dabei gedacht. Hätte er doch besser den Mund gehalten! Am liebsten hätten sie ihn verprügelt. Aber Jesaja hatte sich bereits aus dem Staube gemacht.
Vielleicht erwartet Ihr jetzt, daß ich diese Gerichtspredigt des Jesaja zum Anlaß nehme, um nun meinerseits einmal so richtig auf die Pauke zu hauen. Aber ich möchte es Euch selbst überlassen, Eure Schlüsse für Euch selbst daraus zu ziehen. Inwiefern die Vorwürfe des Jesaja auch heute noch aktuell sind, darüber müsst Ihr Euch schon selbst Eure Gedanken machen.
Dazu nur eines: Dass auch wir heute Gott mit den Früchten unserer Lebensweise oft wenig Freude bereiten, dieser Feststellung können wir alle uns nicht entziehen. Wie wird er damit umgehen? Lasst uns unser Augenmerk deshalb noch einmal auf das richten, was in diesem „Weinberglied“ eben auch steht, aber leicht überlesen wird.
Dazu drei Gedanken:
1. Die liebevolle Vorbereitung des Weinberges
Jesaja erinnert uns daran: Wir alle sind gute Geschöpfe eines guten Schöpfers, aus Liebe geschaffen, in seiner Liebe geborgen, voller Liebe angenommen, gehegt und umsorgt von ihm Tag für Tag. Eine gute, eine ungeheuer wichtige Erinnerung für jeden und jede von uns.
Weil sie ganz stark beeinflußt die Art und Weise, wie wir uns selber sehen, ja, wie wir uns aus der Sicht Gottes selber sehen dürfen, nämlich als Gottes gute Geschöpfe. Und das sage ich jetzt besonders all denjenigen, die unter der bedrückenden Erkenntnis ihrer Unvollkommenheit und Fehlerhaftigkeit, ihres Versagens und ihrer Schwäche bis hin zu Fragen des Glaubens und Gottvertrauens leiden. „Du bist Gottes gutes Geschöpf, das er lieb hat. Trotzdem! Bei ihm zählt nicht, was Du kannst, sondern was Du bist – eben sein gutes Geschöpf. Und diesen Deinen Wert für ihn wirst Du nie verlieren, komme, was da will!“ Welch eine tröstliche, befreiende Zusage.
2. Gottes gute Geschöpfe sind auch die anderen!
Was für mich gilt, gilt auch für sie. Und das heißt: Nicht nur uns selbst sollen wir neu sehen lernen mit dem liebevollen Blick Gottes, sondern genauso auch unsere Mitmenschen. Es ist einfach, das Negative bei anderen zu entdecken. ChristInnen sollte man daran erkennen, dass sie sich bemühen, das Gute in ihren Mitmenschen zu sehen, zu wecken und zu fördern, vor allem dort, wo uns das schwer fällt oder wo sie das uns furchtbar schwer machen. Die Güte Gottes in anderen zu entdecken, ist oft nicht einfach, sondern ganz schön anstrengend, ist Arbeit, die uns physisch und psychisch fordert, die unsere Bereitschaft, andere anzunehmen, so, wie wir selbst gerne angenommen werden würden, oft auf eine sehr harte Probe stellt. Dabei tut ja Gott bei uns recht besehen gar nichts anderes!
3. Gottes neuer Weinberg
Durch Jesus Christus hat sich in diesem „Weinberg“ Entscheidendes verändert. In seiner Mitte steht nun nicht mehr der Wachturm, sondern das Kreuz zum Zeichen dafür, dass Gott kein neutraler Beobachter unseres Lebens ist, der mehr oder weniger enttäuscht oder verärgert wahrnimmt, was uns alles misslingt, was uns wegführt von ihm und von einer Welt, wie er sie für uns gewollt hat. Er ist keiner, der unser Selbstvertrauen dadurch zerstört, dass er uns klein macht oder klein hält, indem er uns permanent unsere eigene Ohnmacht spüren und uns dafür büßen lässt. Im Gegenteil!
Das Kreuz ist das Symbol für Gottes Solidaritätserklärung für uns.
Gott solidarisiert sich mit denen, die leiden, unter Unterdrückung, unter ihrem Schicksal, unter den Folgen ihres Denkens, Fühlens, Handelns und ihren Egoismen. Gott solidatisiert sich mit uns. Aus Liebe zu uns. Dieser Liebe, die Jesus im Auftrag Gottes verkündigt und vorgelebt hat – bis zur letzten Konsequenz am Kreuz. Diese bedingungslose Liebe zu uns verändert uns, hilft uns, neue Wege zu uns selbst und zu unseren Mitmenschen zu suchen und zu finden, schenkt uns Momente, in denen wir spüren, wie Himmel und Erde sich berühren auch bei und sogar durch uns – eben durch die Macht der Liebe.