Pfingstpredigt zu Epheser 4 Vers 1-7
So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen. Einem jeden aber von uns ist die Gnade gegeben nach dem Maß der Gabe Christi.
Ganz offensichtlich gab es damals unterschiedliche Strömungen in der jungen Christenheit, unterschiedliche Gruppen, die miteinander um den „rechten“ Glauben stritten. Zumindest von der Einheit der Kirche war da nicht mehr viel zu spüren. Und wir wissen ja, wie diese Geschichte dann weiterging:
Kirchenspaltungen waren die Folge. Die größten von ihnen: die Kopten – die Christen in Ägypten – bereits in den ersten frühchristlichen Jahrhunderten, dann die Orthodoxie im 11. Jhd., die Reformationskirchen im 16. Jhd., die Anglikaner im 17. Jhd. und dann eine Fülle von Freikirchen ab dem 18. Jhd.
Immer wieder werde ich gefragt: „Glauben Sie, dass es überhaupt je wieder einmal eine „eine“, wiedervereinigte Kirche geben wird?“
Gerade in unserer Zeit leiden zunehmend mehr ChristInnen an den Folgen der Konfessionstrennung, vornehmlich im Bezug auf die Abendmahlspraxis und die „konfessionsergänzenden“ Ehen.
Aber auch allgemein tragen die vor der Öffentlichkeit kaum zu verbergenden Uneinigkeiten und Streitigkeiten zwischen den Konfessionen wenig zur Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Botschaft bei. Im Gegenteil!
Lasst mich eine Gegenfrage stellen:
„Worin bestünde denn überhaupt die Einheit der Kirche? In einer allgemeinen Uniformität; in der Einförmigkeit einer Kirche, in der alle dasselbe tun, denken, reden, weil sie dasselbe denken, reden und tun müssen? Wären wir dann wirklich eine Kirche?“
Wie ließe sich die Kirche aber denn sonst wiedervereinigen?
Die überraschende Auskunft unseres Predigttextes:
Wir brauchen keine Wiedervereinigung der Kirche!
Wir brauchen sie deshalb nicht, weil es nur die eine Kirche Jesu Christi gibt. Weil die Einheit dieser Kirche von Gott her eine Tatsache ist. Weil wir von ihm her eins sind, obwohl die „irdischen“ Tatsachen dem zu widersprechen scheinen.
Wie ist das zu verstehen?
Der Verfasser des Epheserbriefes verwendet dafür das Bild des Apostels Paulus von der Kirche als dem Leib Christi und macht damit deutlich: Es gibt keinen getrennten, also dann auch keinen römisch-katholischen oder evangelischen Leib Christ. Es gibt nur den einen Leib Christi, also nur eine Kirche!
Und dann nennt er die Zeichen dieser Einheit explizit:
„Ein Leib!“ Wir sind eins, weil wir alle Glieder sind an diesem einen Leib, in all unserer konfessionellen Unterschiedlichkeit.
„Ein Geist!“ „Ein Glaube!“ Wir sind eins, weil unter uns Christen derselbe Geist Gottes, der Heilige Geist oder wie es neuerdings mit Recht heißt, „die Heilige Geistkraft Gottes“ wirkt, und das immer mit dem Ziel, uns zu helfen, unseren Glauben, wie wir ihn gemeinsam bekennen als den einen Glauben der gesamten Christenheit, zu vertiefen und der Welt zu bezeugen.
„Ein Herr!“ Wir sind eins, weil uns der eine und einzige Herr der Kirche, Jesus Christus, eint als solche, für die er am Kreuz die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung bestätigt hat, damit wir zum Leben, damit wir zum ewigen Leben finden.
„Eine Taufe!“ Wir sind eins, weil wir durch die eine Taufe Teil seiner einen Kirche werden.
„Ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen!“ Wir sind eins, weil wir uns zu dem einen Gott bekennen, wie ihn uns Jesus Christus verstehbar und erfahrbar gemacht hat im Bild des barmherzigen Vaters, dessen Liebe, dessen Gegenwart und dessen Dynamik seine gesamte Schöpfung durchdringt, so auch uns.
Lasst uns diese innere Einheit ob der äußerlichen Getrenntheiten nicht gering schätzen! Denn sie ist die Einheit, die von Gott her kam, kommt und stets kommen wird, auch ohne unser Zutun. Denn Gott ist von uns nicht abhängig, auch und gerade nicht im Bezug auf seine Kirche! Deshalb lautet eben dann auch die Aufforderung des Verfassers des Epheserbriefes nicht:
„Stellt doch endlich die verlorene Einheit wieder her!“, sondern:
„Seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens!“
Nichtwahr, das ist ein deutlicher Hinweis, wo es in unserer Christenheit in Wirklichkeit krankt, worin unser konfessionelles und interkonfessionelles Versagen besteht: Wir leben sie nicht, diese von Gott uns geschenkte Einheit. Statt „die Einigkeit im Geist zu wahren“, verwenden wir ChristInnen viel Zeit und Kraft darauf, „die Einzigartigkeit unseres Geistes und vor allem unserer Konfession zu verteidigen“. Wie viel Ignoranz und Arroganz, Egoismus und Rechthaberei, Vorurteile und Verketzerung haben seit Beginn der Kirchengeschichte den Leib Christi deshalb erschüttert, vergiftet, krank gemacht. Es ist wirklich ein Wunder Gottes, dass es trotz uns ChristInnen die Kirche noch immer gibt!
Statt Demut, Sanftmut und Geduld im Umgang miteinander, wie von uns gefordert, haben bei uns vielfach konfessioneller Hochmut, Machtdemonstration und Intoleranz das Zepter geführt. Gewiss, um das notwendige, zeitgemäße und kontextuelle Zeugnis der Christenheit muss gerungen werden, aber eben dann auch mit der Bereitschaft, zu akzeptieren, dass die Einigkeit im Geist auch zu unterschiedlichen Antworten führen kann. Deshalb auch die Aufforderung: „Ertragt einander in Liebe“, vor allem dort, wo ihr unterschiedlicher Meinung seid.
Also, gerade weil die Einheit der Kirche von Menschen nicht zerstört werden kann, weil sie von Gott gegeben ist, gerade deshalb kann es in ihr Unterschiedlichkeit, unterschiedliche Konfessionen, unterschiedliche Glaubensrichtungen geben. Wie tröstlich und wie befreiend zugleich für uns! Denn wir stehen von Gott her eben gerade nicht unter dem Druck, in allem gleich denken und gleich sein zu müssen, um eins zu sein!
Noch ein Letztes. Das heißt es zum Schluss:
„Einem jeden aber von uns ist die Gnade gegeben nach dem Maß der Gabe Christi.“
Wie, wenn wir unsere konfessionellen Unterschiede auch als Gabe füreinander verstehen lernen würden? Als gegenseitige Bereicherung; als Anregung zum Nachdenken über die eigene Glaubenspraxis; als notwendiges Korrektiv; als wohltuende Ergänzung unseres konfessionellen „Angebots“; als Erinnerung an bei uns in Vergessenheit Geratenes – bei uns Evangelischen wurden zum Beispiel die Tradition der Taufkerze oder der Osternacht, die die römisch-katholische Kirche die Jahrhunderte hindurch bewahrt blieben, durch die Anregungen aus dem ökumenischen Dialog wieder eingeführt – ; als hilfreiche Herausforderung, uns mit zur Gewohnheit gewordenen Glaubensinhalten erneut auseinanderzusetzen, um sie dann wieder bewusster leben zu können?
Die Begegnung mit diesem Predigttext lässt uns deutlich erkennen, dass bereits in der ersten Zeit der Kirche feststand, was bei uns vielfach in Vergessenheit geraten ist:
Dass wir trotz all unserer Unterschiedlichkeit der Konfessionen die eine Kirche Jesu Christi sind, in der es keine Privilegierten gibt, in der wir uns als Gleiche, als Schwestern und Brüder, begegnen, in der wir, ob uns das nun so passt oder nicht, untrennbar miteinander verbunden sind durch die Taufe und in der wir zueinander finden durch das gemeinsame Bekenntnis zu dem einen Gott, der uns berufen hat, in der Gemeinschaft der Konfessionen seine Kirche zu sein und gemeinsam der Welt zu bezeugen, dass er unser und aller Welt Herr ist.
Dass wir uns so als in aller Unterschiedlichkeit in und durch Gott Vereinte immer besser verstehen und annehmen lernen, das ist meine Hoffnung für unsere Kirche, und dass der Heilige Geist, die heilige Geistkraft Gottes in dieser Weise diejenigen erleuchten möge, die die Leitungsfunktionen in dieser einen Kirche wahrnehmen.