Gedanken zum Reformationsfest
Galater 5, 1-6
Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.
„Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“
Zu welcher Freiheit hat Christus uns denn befreit?
Zur Freiheit von dem Zwang, glauben zu müssen, dass von Gott nur angenommen würde, wer alle seine Gesetze einhält. Dass Gott vielmehr den Menschen annimmt, der an ihn glaubt. Und dass dieser Mensch durch seine Bindung an Gott im Glauben dann schon weiß und erfühlt, was er zu tun und was er zu lassen hat. Und dass Gott ihm gnädig bleibt, auch wenn er dabei immer wieder versagt.
Diese neue Lehre Jesu, diese Befreiung von dem Gesetzt als Weg zum Heil, hatte Jesus immer wieder in Auseinandersetzungen mit den Frommen seiner Zeit geführt, sie war auch der innere Grund für seine Kreuzigung. Und eben diese Lehre hatte Paulus weitergegeben an die Gemeinden, die er in der Folgerzeit gegründet hatte.
Plötzlich wird ihm berichtet, dass andere Missionare dort lehrten, dies genüge nicht. Man müsse das Gesetz doch einhalten. Konkret: Um Christ werden zu können, müsse man sich erst beschneiden lassen, also das jüdische Gesetz erfüllen.
Voller Besorgnis schreibt Paulus daraufhin diesen Gemeinden:
Denkt daran: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“
Lasst Euch diese Freiheit nicht wieder wegnehmen!
„So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft (des Gesetzes) auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch (der Glaube an) Christus nichts nützen.“
Der Weg zu Gott durch das strikte Einhalten des Gesetzes ist nicht der Weg Jesu, sondern vielmehr der Glaube, das Vertrauen zu diesem gnädigen Gott. „Durch das Gesetz werdet ihr ihn nicht finden, sondern nur dadurch, dass ihr ihm euer Vertrauen schenkt, durch den Glauben.“
Und eben dieser deutliche Verweis auf die Wichtigkeit des persönlichen Glaubens war es, der Martin Luther etwa 1500 Jahre später wachgerüttelt hat in einer Zeit, in der die Kirche und an ihrer Spitze der Papst, man könnte fast sagen, erneut diese „Gesetzes-Lehre“ vertrat: Nur wer die Regeln, die Gesetze der Kirche befolgt, kommt zu Gott, wird von ihm angenommen. Deshalb protestierte er vehement gegen diese Praxis mit dem Verweis: Schaut doch in die Bibel! Da steht etwas ganz anderes: Dass es der Glaube ist, der uns zu Gott führt; dass es nicht unser Verdienst, sondern seine Gnade ist, weshalb er sich unser liebevoll annimmt.
„Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, – bei ihm geht es nicht um die Einhaltung des Gesetzes – sondern um den Glauben.“
Und so begann mit Luther in Rückbesinnung auf die Botschaft der Bibel die Reformation als eine Befreiungsbewegung, die den Menschen half, sich frei zu machen von der Bevormundung und der Unterdrückung durch die Kirche durch das Sich-Bewusst-Werden der Bedeutung ihres ganz persönlichen Glaubens, der sich letztenendes allein an der Bibel orientiert und nicht mehr nur noch an dem, was die Kirche von ihm fordert.
Mittlerweile ist diese Befreiungsbewegung jedoch auch in die Jahre gekommen. Sie hat sich mit der Zeit etabliert, hat so manchen Schwung verloren, denkt viel zu wenig an das, was sie einmal in Bewegung gebracht hat. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns nicht nur des Datums der Reformation erinnern, sondern vor allem ihrer Inhalte.
Drei Hinweise scheinen mir dazu wichtig:
- Während zur Zeit des Paulus und zur Zeit Martin Luthers um den Weg hin zu Gott vehement gestritten wurde, haben wir damit zu kämpfen, dass Gott dem heutigen Menschen immer gleichgültiger wird („habe nichts gegen ihn, aber auch nichts für ihn“). Und wenn heutzutage darüber geklagt wird „ich kann Gott gar nicht mehr vertrauen“, so ist dies auch eine Konsequenz dieser Gleichgültigkeit. Denn wie soll ein Gott, der mir letztlich gleichgültig ist, meinem Leben Halt und Sicherheit geben? Vertrauen ist eine Investition, zu der ich mich durchringen muss, oder besser gesagt, die ich auch wirklich wollen muss, weil ich von ihm etwas erwarte; weil ich mit ihm rechne; weil ich ihm etwas zutraue als meinem Gott, dem ich mein Leben verdanke und der es mir täglich neu erhält. Das ist Glaube.
- Und dieser Glaube braucht, um zu leben, Verbindlichkeit. Dass ich ihn nicht nur gerade dann hervorhole, wenn ich ihn brauche oder wenn es mir so in den Kram passt, sondern dass er mich, dass er mein Leben begleitet, in es hineinwirkt, dass er es und mich prägt, von mir als Lebenshaltung akzeptiert wird; verbindlich auch in dem Sinn, dass ich mich an meinen Glauben gebunden weiß, auch wenn das, was er von mir fordert, meinen momentanen Interessen und Wünschen widerspricht oder mich in Widerspruch zu anderen Menschen bringt. Eine Haltung, die mir zugleich Halt gibt – mir selbst, aber auch denen, die mit mir zu tun haben.
- Und der dritte Hinweis stammt aus unserem Predigttext:
„Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“
Dieser ernsthafte, zu meinem Leben gehörende Glaube befreit mich zur Liebe. Dass ich befreit werde dazu, mich selbst liebevoll anzunehmen mit all dem, was mich ausmacht, und dann eben auch mein Gegenüber, selbst mein feindliches Gegenüber mit liebevollen Augen anzublicken, in ihm den von Gott geliebten Menschen zu entdecken lerne, der genauso wie ich mit seinen Erfahrungen von Ängsten, Schwächen, Grenzen, Versagen und Enttäuschungen leben lernen muss. Dass ich lerne, anders, liebevoller mit ihm umzugehen; dass ich mir der gottgewollten Verantwortung für dieses Gegenüber bewusst werde und nach dem suche, was seinem Besten dient.
Und sehr Ihr, da wird auf einmal deutlich, dass diese Freiheit, die Christus uns schenkt, ganz viel mit der Freiheit zu tun hat für Menschen, Völker, Rassen. Dass sie uns verbietet, andere unfrei zu machen, ja dass sie uns vielmehr gebietet, alles dafür zu tun, dass alle Menschen, und nicht nur ein privilegierter Teil, vornehmlich wir, ihr Leben in Freiheit entfalten können.